Fast schon heimlich ist der Nachfolger zum Überraschungshit Hellblade: Senua’s Sacrifice veröffentlicht worden. Verdient hat es der Titel nicht, denn was Ninja Theory mit Senua’s Saga: Hellblade II vor allem audiovisuell abliefert, kann man momentan guten Gewissens als neuen Maßstab im Gaming betrachten. Eine taugliche Geschichte und motivierendes Gameplay hat man dabei aber irgendwie vergessen…


Entwickler: Ninja Theory
Publisher: XBOX Game Studios
Plattform: PC | XBOX Series X|S
Altersfreigabe: ab 18 Jahren
Metacritic | OpenCritic | IMDB


Feuer, Eis und Schatten
Ihren Geliebten konnte die innerlich tief zerrüttete Kriegerin Senua auf ihrer Reise durch die Unterwelt zwar nicht wieder ins Leben zurückholen, dafür aber mit einigen düsteren Kapiteln ihrer eigenen Vergangenheit aufräumen. Fest entschlossen, anderen ein ähnliches Schicksal zu ersparen, lässt sie sich freiwillig von jenen Nordmännern (Hobbies: Plündern, Morden, Brandschatzen) gefangen nehmen, die einst ihr Dorf heimgesucht haben, um die Wurzel allen Übels in ihrem Zentrum auszurotten. Doch das Sklavenschiff geht in einem schweren Sturm unter und die wenigen Überlebenden – darunter natürlich auch Senua – werden halbtot an der isländischen Küste angespült. An diesem unwirklichen Ort herrschen nicht nur Grausamkeit und Kälte, auch ein anderes Übel scheint die Insel heimzusuchen. Während der Kampf gegen die Björk schnell in den Hintergrund rückt und Senua neue Verbündete um sich schart, sind ihre Psychosen so munter wie eh und je…

Viel mehr möchten wir an dieser Stelle nicht über die Geschichte verraten. Senua’s Saga: Hellblade II ist wie schon der Vorgänger ein Titel, welcher maßgeblich von seiner Geschichte lebt und dabei über seine mit fünf bis sechs Stunden Spielzeit inklusive plötzlichem Ende leider extrem knapp bemessenen Dauer von jedem selbst erlebt werden sollte. Und genau hier fangen die Probleme an, denn verglichen mit der sturmgepeitschten Insel als unverbrauchtem und gleichzeitig unglaublich atmosphärisch umgesetzten Schauplatz kann man die Geschichte allenfalls als lauen Windhauch bezeichnen. Spielerisch wird kaum Abwechslung geboten, spätestens zur Mitte hin scheinen den Machern komplett die Ideen ausgegangen zu sein und alles beginnt sich im Ablauf zu wiederholen, was dem ohnehin arg linearen Grundprinzip überhaupt nicht guttut. Was bleibt, ist eine extrem cineastische Erfahrung, die man zumindest inhaltlich in jedweder Hinsicht schnell wieder vergessen hat.
#SenuaUltras
Ganz anders sieht es dagegen bei der titelgebenden Protagonistin aus, die man wohl mit gutem Gewissen zu den komplexesten Charakteren der jüngeren Videospielgeschichte zählen darf. Deren innere Zerrissenheit wird hier erneut mit einer fast schon beängstigen Immersion an den Spieler getragen, so dass man jeden einzelnen, qualvollen Moment ihrer Reise ins Ungewisse nicht nur als Beobachter erlebt, sondern maßgeblich mitfühlen kann. Senua hat nach ihren Erlebnissen in der Unterwelt eine spürbare Wandlung durchgemacht und obwohl sie immer noch eine immense Last auf ihren Schultern trägt, präsentiert sie sich hier gereifter und stärker als je zuvor, darf aber auch immer wieder Schwäche zeigen. Für die realitätsnahe Umsetzung ihrer mentalen Leiden hat das Team einmal mehr intensiv mit Leuten vom Fach zusammengearbeitet, was in der Praxis so gut funktioniert, dass ich beim Testen gelegentliche Pausen einlegen musste, weil die ständige Beschallung mit unterschiedlichen Stimmen und Halluzinationen einem gerade mit Kopfhörern schnell an die eigene Substanz zu drohen geht.

In Zeiten, wo die meisten weiblichen Protagonisten in Spielen aufgrund des gegenwärtig vorherrschenden Zeitgeists maximal aufgesetzt rüberkommen, präsentiert sich Senua als eine glaubhafte Heldin mit nachvollziehbarer und vielschichtiger Persönlichkeit. Dass man sich bei deren Umsetzung nicht hat reinreden lassen und die Linie des Vorgängers konsequent weitergeführt hat, ist maximal lobenswert – gerade, weil Publisher und Studiobesitzer Microsoft sich zuletzt nochmal deutlich durch entsprechende Statements auf der dunklen Seite der Macht platziert hat. Bei allen Bezügen zum Erstling kann ich an dieser Stelle aber Entwarnung geben: Vorkenntnisse sind keine erforderlich, ein gut gemachtes Intro fasst die bisherigen Geschehnisse detailliert zusammen. Als Mittelpunkt der Geschichte ist Senua mindestens so überragend wie ihre fotorealistische Darstellung, während die Nebencharaktere rasch zu bloßen Randfiguren verkommen. Gegen ein weiteres Wiedersehen mit der kultverdächtigen Kriegerin habe ich nichts einzuwenden – ein besseres Spiel als dieses wünsche ich mir dafür aber in jedem Fall.
Zwischen Köpfchen und Köpfen
Wer aufgrund der übermäßigen Symbolrätsel des Vorgängers immer noch in akuter Traumabewältigung ist, muss jetzt ganz stark sein, denn die Macher hatten daran offenbar deutlich mehr Spaß als wir und wollen auch im Sequel nicht darauf verzichten. Ein bisschen Varianz gibt’s dann aber dankbarerweise doch noch, wenngleich auch auf ein Minimum beschränkt: Mal müssen wir mithilfe von Feuerschalen oder Sphären neue Pfade freischalten, dann uralte Mechanismen mithilfe korrekt platzierter Kugeln aktivieren. Richtig harte Nüsse haben die Rätsel in Senua’s Saga: Hellblade II zwar nicht zu bieten, das repetitive Geschehen wird dadurch aber zumindest etwas aufgelockert. Später im Spiel greifen diese Mechaniken immer wieder ineinander, spätestens dann fängt’s langsam an, etwas zu nerven.

Sammelobjekte gibt es in Form von Steinsäulen, die noch ein bisschen zusätzliches Wissen über das Setting offenbaren, essentiell ist das aber nicht. Da die Welt des Spiels sehr eng abgesteckt worden ist und die Bewegungsfreiheit entsprechend bescheiden, begegnet man den meisten dieser altertümlichen Informationsschalter fast ganz automatisch. In Kämpfen agiert Senua anhaltend langsam und jetzt nur noch gegen Einzelgegner, was zumindest den Vorteil hat, dass man nicht mehr wie früher permanent Angriffen aus toten Winkeln ausgeliefert ist. Freunde schneller Action dürften mit den trägen, andererseits aber auch wunderbar filmisch inszenierten und herrlich kompromisslosen Auseinandersetzungen kaum Freude haben. Zwei Angriffe, Parieren und Ausweichen, so war es bisher und dabei bleibt es. Trotzdem sind die Kämpfe gerade anfangs etwas trickreich zu meistern, weil sich das Tutorial ausschließlich aus den Stimmen im Kopf der Heldin speist und als solches ziemlich vage geraten ist.

So lassen sich Parier- und Ausweichfenster nicht immer korrekt abschätzen, auf ein Interface haben die Macher ebenfalls verzichtet. Die Artenvielfalt unter den Gegnern ist überschaubar, dafür verfügt jeder Feind vom Schwertkämpfer bis zum Speerwerfer über eigene Mechaniken, auf die man entsprechend reagieren muss. Wenn es dem Ende zugeht, etwa weil wir zu viele Treffer eingesteckt haben, verändert sich die Darstellung am Bildschirm entsprechend. Bei einem Sieg erholen wir uns umgehend vollständig, heilende Items gibt es im Spiel ebenso wenig wie Talentbäume und Co. Dass sich das grundlegende Spielprinzip innerhalb von sieben Jahren seit Veröffentlichung des ersten Teils kaum wahrnehmbar weiterentwickelt hat, ist ziemlich enttäuschend. Hier wäre so viel mehr möglich gewesen.
Kein schöner Land
Spiele auf Basis der Unreal Engine 5 hatten es zuletzt nicht leicht: Sowohl Immortals of Aveum als auch Lords of the Fallen litten besonders auf den Konsolen unter starken Leistungsschwankungen, während PC-Spieler sich mit übertriebenen Hardwareanforderungen auseinandersetzen mussten und flüssiges Spielen selbst dann nur eingeschränkt möglich gewesen ist. Dass es auch besser geht, sehen wir hier, denn Senua’s Saga: Hellblade II offeriert auf XBOX Series X|S nicht nur durchgehend flüssige 30 Bilder pro Sekunde – was angesichts der filmischen Inszenierung überhaupt nicht stört – sondern ist darüber hinaus auch plattformübergreifend einer der grafisch eindrucksvollsten Spiele überhaupt. Alleine Senua wirkt dank Motion Capturing beinahe real und verfügt über eine ganze Bandbreite glaubhafter Gesichtsausdrücke, hinzu kommt ein extrem detailliertes Charaktermodell. Streiten kann man allenfalls über die Tatsache, dass eine wilde Kriegerin aus dem 10. Jahrhundert kaum über eine derart einwandfreie und strahlend weiße Kauleiste verfügt haben dürfte. Und auch die schwarzen Balken lassen sich gegenwärtig nicht abschalten.

Um die Kulissen glaubhaft einzufangen, ist extra ein Teil der Entwickler nach Island gereist und hat die dortige Szenerie via Photogrammetrie vermessen. Egal ob Texturqualität, Partikel oder Beleuchtung: Grafisch ist das Spiel in jedweder Hinsicht State-of-the-Art, ein wahrer Augenöffner und ein Vorbote dessen, was diese und weiteren Hardwaregenerationen über die nächsten Monate und Jahre noch auf die Bildschirme zaubern werden. Auch schöneres Wasser habe ich bisher noch nirgendwo sonst gesehen. Einen separaten Leistungsmodus gibt es auf keine der beiden Konsolen, auf Raytracing wird grundsätzlich verzichtet. Im Hintergrund sorgt eine dynamische Skalierung dafür, dass die Auflösung bei Bedarf zurückgeschraubt wird, um nahtlos flüssige Bildraten zu garantieren, was überwiegend auch hervorragend gelingt, wobei die Schrauben auf der XBOX Series S wenig überraschend deutlich enger und kräftiger angezogen werden. Auflösungen im Bereich von 4K sollte man aber auch auf der XBOX Series X nicht erwarten, was bei ausreichend Entfernung vom Bildschirm aber ohnehin kaum auffallen dürfte. Erfreulich: Nervige Abstürze und andere Fehler sind uns im Test keine begegnet, das Spiel wirkt von ersten Tag an sauber optimiert.

PC-Enthusiasten sollten mindestens über eine Geforce RTX 1070 oder einen gleichwertigen Motor aus dem Hause AMD | Intel verfügen, müssen sich dann aber mit sehr niedrigen Einstellungen begnügen, mit denen das Spiel allerdings immer noch besser ausschaut als so manch anderer Titel auf maximalen Settings. Wer natives 4K bei gleichzeitig hohen Einstellungen und mindestens 60 Bildern pro Sekunde will, benötigt dafür ein sehr aktuelles Hochleistungssystem. Nötig sind derart hohe Bildraten hier wie erwähnt nicht. Alles in allem bietet das Spiel am PC ausreichend Möglichkeiten zum Feintuning, Techniken wie DLSS 3.0 sorgen bei unterstützten Grafikkarten für eine immense Entlastung, ohne dabei die Bildqualität zu sehr zu verwässern. Die Portierung ist genauso gut gelungen wie die ursprüngliche Konsolenfassung und dürfte auf lange Sicht ein hervorragendes Benchmark sein, um auch Spitzenrechner an die Grenzen ihrer Leistungskapazität zu bringen. Eine schnelle SSD ist natürlich Pflicht, wenn man in den Genuss der gleichen, angenehm kurzen Ladezeiten wie auf den Konsolen kommen möchte.

Ein besonderes Lob gilt dem fürwahr meisterlichen Sounddesign. Die Immersion des Spiels wird von den zahlreichen Stimmen in Senua’s Kopf samt deren Platzierung maßgeblich mitgetragen und macht bereits über reguläres Heimkino eine sehr gute Figur, das wahre Potenzial entfaltet sich aber erst über hochwertige Kopfhörer. Gesprochen wird ausschließlich Englisch, dazu gibt’s sauber lokalisierte Untertitel und einen treibenden, äußerst stimmungsvollen Soundtrack. Die Steuerung geht mit Gamepad am besten von der Hand, funktioniert aber auch via Maus und Tastatur hervorragend. Klar, auf das haptische Feedback eines DualSense muss man hier komplett verzichten, dafür legen die Motoren im XBOX-Gamepad manchmal so krass los, dass man es einen förmlich durchschüttelt.

„Das Sequel zu Hellblade: Senua’s Sacrifice angemessen zu bewerten, hat sich als extrem schwierige Aufgabe herausgestellt, über die ich mehrere Tage energisch grübeln musste. Auf der einen Seite ist Senua’s Saga: Hellblade II ein audiovisueller Augenöffner der Güteklasse A+, auf der anderen Seite ist es abseits seiner faszinierenden Protagonistin inhaltlich leerer als die heutigen Spieleverpackungen, furchtbar linear und elendig kurz. Und trotzdem ist den Machern mehr gelungen als eine reines Showcase aktueller Technik – wenn auch nicht viel mehr. Die Auseinandersetzung der Heldin mit ihren inneren Dämonen ist wieder mal unglaublich packend, die Kämpfe wunderbar kompromisslos…und doch sorgt die völlige Abwesenheit spielerischer Freiheit sowie einer brauchbaren Handlung dafür, dass man den abrupt endenden Ausflug nach Island rasch wieder vergessen wird.


- Unverbrauchtes Setting
- Atemberaubend schöne und abwechslungsreiche Kulissen
- Fantastische Licht- und Partikelkulisse
- Packende Atmosphäre
- Fast lebensecht wirkende Protagonistin mit vielschichtiger Persönlichkeit
- Realitätsnahe Auseinandersetzung mit psychischen Problemen
- Filmreif inszenierte, angenehm kompromisslose Kämpfe
- Leicht verbessertes Kampfsystem nimmt viel Frust aus den Auseinandersetzungen
- Stimmiger Soundtrack
- Schaurig-schöne Klangkulisse
- Exzellente englische Sprecher
- Saubere Bedienung über sämtliche Peripherie

- Belanglose, ab der zweiten Hälfte repetitive Geschichte ohne nennenswerte Höhepunkte
- Rätsel nutzen sich schnell ab
- Uninteressante Nebencharaktere
- Gameplay hat sich seit dem ersten Teil kaum weiterentwickelt
- Streng linear
- Kampfsystem mit kryptischen Hinweisen statt ausreichender Tutorials
- Stark eingeschränkte Bewegungsfreiheit
- Mit fünf bis sieben Stunden Spielzeit sehr kurz
- Wiederspielwert praktisch nicht vorhanden
- Spielerisch kaum fordernd



Entsprechende Rezensionsexemplare sind von uns auf eigene Kosten gestellt worden.
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