Die Suche geht weiter
Neben vielen neuen Bekanntschaften warten aber auch zahlreiche Scherereien auf das langsam anbandelnde Duo. Lokale Gangster terrorisieren die friedliebenden Einwohner und setzen alles daran, einen weiteren, von den Einheimischen verstecken Spiegel in ihren Besitz zu bringen. Das kann der kampferprobte Ryo natürlich nicht auf sich beruhen lassen. Letztendlich stellt sich Bailu aber nur als ein weiterer Zwischenstopp auf einer langen Odyssee heraus, denn Ling´s Vater ist längst in die Küstenstadt Niaowu verschleppt worden und wird nun vom Anführer der gefürchteten Red Snakes gefangengehalten. Was die vorhaben wollen wir an dieser Stelle natürlich ebenso wenig verraten wie den weiteren Verlauf der Handlung, die sich wieder über einen langen Zeitraum erstreckt. Der grundlegende Spielaufbau ist allerdings identisch zu den Vorgängern gehalten und zwingt ganz bewusst zur Geduld.
Schließlich gehen die Menschen in den beiden angenehm abwechslungsreich und detailverliebt gestalteten Arealen Bailu und Niaowu allesamt einem geregelten Tagesablauf nach und beginnen Arbeit und Feierabend stets zu fest definierten Uhrzeiten. Dazwischen heißt es oftmals: Warten, warten, warten. Hat man den gesuchten Charakter ausgefragt oder das für den weiteren Handlungsverlauf relevante Ereignis erfolgreich absolviert, kann es oft sein, dass bis zum nächsten Schritt ein ganzer Tag vergeht. Was das angeht, ist Serienschöpfer und Game Director Yu Suzuki den Wurzeln der Reihe konsequenz treu geblieben. Und wer die Aussagen des Japaners aufmerksam verfolgt hat wird erahnen, dass die Geschichte auch mit Teil 3 noch längst nicht am Ende ist. Alle anderen müssen sich nach circa 25 Stunden Spielzeit darauf einstellen, einmal mehr mit einigen neuen Antworten, aber auch vielen offenen Fragen zurückgelassen zu werden, die sämtliche Weichen für eine weitere Fortsetzung stellen.
Gelebte Gemütlichkeit
Man muss eine Vorliebe für Nostalgie haben, um mit Shenmue III überhaupt warmwerden zu können. Denn rein mechanisch fällt das Spiel gemessen am gegenwärtigen Zeitgeist modernen Spieledesigns auf den ersten Blick hemmungslos durch. In Zeiten, wo sich Erfolge gar nicht schnell genug einstellen können und man als Spieler nicht selten gewillt ist, für ein bisschen mehr Tempo beim Progress gar Echtgeld auf die virtuelle Theke zu legen, lehrt einen Shenmue III ganz ohne Mikrotransaktionen und Co. den Wert des Ausharrens Zwar dürft ihr auf Wunsch die Zeit bis zum nächsten Event überspringen, verpasst dadurch aber auch vieles abseits der Hauptgeschichte. Und auch sonst hat sich nicht wirklich etwas am Grundprinzip der Reihe geändert, denn selbst nach zwei Spielen wirkt Ryo immer noch nicht viel klüger und agiert im Rahmen der zahlreichen Dialoge mindestens so unbeholfen wie seine vielen, klischeehaft auftretenden Gesprächspartner. Unzulänglichkeiten findet man quasi unverhohlen an jeder Ecke.
Fakt ist, Shenmue III schlägt ganz bewusst in die (alten) Kerben seiner Vorgänger. Es will gar nicht modern sein und richtet sich auch nicht an gegenwartsgewöhnte Spieler schneller Action, sondern stattdessen ausschließlich an jenes Publikum, welches auch die Vorgänger geliebt hat und teilweise via Kickstarter eine Menge Kapital dazu beigetragen hat, dass der dritte Teil überhaupt erschaffen werden konnte. Wer mit der im Stil einer japanischen Seifenopfer, die später mehr und mehr auf spirituelle, ja gar romantische Pfade abdriftet auskommt UND außerdem vom neuen Shenmue genau das erwartet, was bereits der zweite Teil vor über 18 Jahren geboten hat, wird die lange Wartezeit seitdem sicher als gut investiert betrachten. Alle anderen dagegen werden wahrscheinlich eine handfeste Enttäuschung erleben. Aber genau das war immer Kern der Reihe – besonders sein, neue Wege gehen und etwas wagen. Das macht Shenmue III zwar insgesamt in deutlich geringerem Umfang (einfach, weil der Aha – Effekt nach so vielen Jahren und gemessen an der seitdem stattgefundenen Entwicklung der Videospiele dann doch ausbleibt) als seinerzeit die ersten beiden Ableger der Reihe, gemessen daran aber dennoch mindestens genauso gut.
Obwohl man sich Wartezeiten dank praktischem Skip-Feature eigentlich sparen kann, fühlt sich keine Tätigkeit temporeich an, stattdessen wird einem Langsamkeit in jeder Hinsicht vorgelebt. Und Alternativen dazu bietet auch der dritte Teil nicht, sondern zieht die Linie anhaltender und wiederkehrender Geduldsproben eisenhart durch und ärgert zusätzlich noch mit sich stetig wiederholenden Dialogen. Dadurch wird natürlich auch die Spielzeit extrem künstlich in die Länge gezogen. Wer sämtliche Ereignisse abkürzt, bekommt außerdem in Sachen Spielzeit ein deutlich beschnitteneres Erlebnis geboten. Wer die Wartezeit dagegen nicht überspringen will kann die Gelegenheit nutzen, um sämtliche Winkel der zwei zentralen Gebiete bis in den letzten Winkel zu erforschen. Dann wird man meistens mit vielen Verweisen auf die Vorgänger belohnt. Darüber freut sich dann wenigstens das Retroherz.
Voll auf die Zwölf
Natürlich wird auch in Shenmue III wieder fleißig gekämpft. Bisher ist es Ryo immer gelungen, seinen Gegnern früher oder später beizukommen, schließlich war bereits der verstorbene Vater ein begnadeter Kampfkünstler, der seinem Sohn zu Lebzeiten allerlei Nützliches mit auf den Weg gegeben hat. Nun aber ist das bisher Erlernte bei weitem nicht mehr ausreichend, um es sofort mit allen Feinden aufzunehmen, die sich Ryo in den Weg stellen. Gekämpft wird grundlegend sehr ähnlich zu den Vorgängern, nämlich in bester Tradition der Virtua Fighter – Serie, also nicht mehr wirklich zeitgemäß. Vier Schwierigkeitsgrade entscheiden maßgeblich darüber, wie hoch das Maß der gebotenen Herausforderung ist. Während ihr auf dem einfachsten Modus fast problemlos die Story genießen könnt und meistens mit einfachem Dauerhämmern der Tasten eure Feinde zu Boden bringt, wird es anschließend immer wichtiger, auszuweichen und im richtigen Augenblick zu kontern – anderenfalls ist man schon nach kurzer Zeit besiegt.
Neue Techniken lassen sich aber zum Glück auf mehrere Arten erlernen. Manches kann man Händlern in Form der altbekannten Schriftrollen abkaufen, während andere Techniken als Belohnung für erledigte Nebenaufgaben verliehen werden. Diese Techniken sind insofern wichtig, da manche Bosse ohne sie gar nicht zu besiegen sind. Und weil manche davon ein unverschämt hohes Maß an Geld erfordern, kommt es sogar vor, dass man an einem gewissen Punkt im Spiel kurzzeitig zum Grinding gezwungen wird. Dann muss man sich in Minispielen wie Holzhacken oder Angeln beweisen, um seine Barschaft aufzumöbeln. So nett die jeweiligen Minispiele aber auch gestaltet sind, so schnell nutzen sie sich auch ab. Wer nämlich irgendwann auf das große finanzielle Hindernis stößt und keine müde Mark mehr in der Tasche hat, wird nach einer Dreiviertelstunde Scheite spalten wahrscheinlich die Nase gestrichen voll haben. Und auch dem Dojo sollte man zeitig in regelmäßigen Abständen zur Kampfkraft- und Ausdauersteigerung einen Besuch abstatten. Später nützen einem sonst nämlich auch die besten Kombos nichts mehr.
Sparen ist in Shenmue III übrigens gar nicht so einfach, weil Ryo nun über eine Energieleiste verfügt, die stets gut gefüllt sein sollte. Futter lässt sich zwar bei fast jedem Händler kaufen, die dazu auch noch eine breite Palette anderer nützlicher und nutzloser Gegenstände im Sortiment führen, geschenkt wird einem aber nichts. Dummerweise rächt sich jedweder Geiz in Kämpfen sofort, denn ohne genug Energie wird man fast chancenlos aus den Latschen geprügelt. Gebraucht hätte es das System nicht, wenigstens eine optionale Abschaltmöglichkeit wäre wünschenswert gewesen. Realismus schön und gut, aber andererseits greift das Energiesystem in meinen Augen störend in den eigentlichen Spielablauf ein und zwingt einen zwischendurch immer wieder zu Unterbrechungen, um den aufkeimenden Energiebedarf einmal mehr zu decken.
Alter vor Schönheit?
Was war das Geschrei doch groß, als Entwickler Ys Net viel zu spät bekannt gab, die PC-Version von Shenmue III vorerst ausschließlich über den immer noch auf breite Ablehnung stoßenden Epic Store vertreiben zu wollen. Gerade die vielen Backer fühlten sich wie vor den Karren geschossen. Mittlerweile hat man zumindest dafür eine fragile Lösung gefunden – allen anderen bleibt immer noch der Sprung auf die PlayStation 4, für die das Spiel zumindest im Konsolenbereich dauerexklusiv erscheint. Und weil sich der dritte Teil beinahe wie seine betagten Vorgänger spielt, will man zumindest die breite Masse erreichen und setzt dieses Mal auf die Unreal Engine 4 als tragendem Grafikgerüst. Die sorgt nicht nur für tolle Beleuchtungs- und Partikeleffekte, sondern auch für viele malerische Panoramen. Die Spielumgebungen sind dabei das visuelle Highlight des Spiels geworden, denn sowohl Bergregion wie Küstenstädtchen bieten viel Wiedererkennungswert und überzeugen von innen wie außen durch eine angenehm detailverliebte Gestaltung, auch wenn man immer wieder auf miese Texturen stößt.
Wenn man mal von der unterschiedlichen Auflösung absieht, treffen sich PC und PlayStation 4 inkl. Standard und PRO – Modell rein qualitativ auf sehr ähnlichen Ebenen, trotz nur sehr weniger Möglichkeiten zum Feintuning sichert sich der PC aber gegenwärtig den ersten Platz auf dem Treppchen. Und das wie erwähnt eben nicht wegen der Auflösung, obwohl natives 4K sich im Vergleich zu den 1080p der PlayStation 4 PRO bzw. 864p für das Basismodell natürlich doch noch etwas schmucker anfühlen (sofern man genug Hardwarepower unter der Haube hat), sondern primär wegen der Bildrate. Die ist auf der PlayStation 4 nämlich nicht eingeschränkt und hüpft daher munter hin und her. Zwischen 25 und 45 Frames pro Sekunde ist je nach Modell so ziemlich alles möglich, was natürlich deutliche Auswirkungen auf Spielgeschehen haben kann. Der Framelock auf 30 Bilder pro Sekunde hätte das Spiel im Wertungsspiegel direkt ein paar Punkte höher gebracht, so aber ist Shenmue III auf PlayStation 4 und PlayStation 4 PRO einfach ein nett anzusehendes, aber leider auch extrem wankelmütig performendes Spiel, während die PC-Version ganz ohne besagtes Problem davonrast. Eher steife und schwach animierte Charaktere bekommt man aber auf allen Plattformen serviert.
Besser sieht es dafür bei Sound und Bedienung aus. Die extrem frustanfällige und unpräzise Bedienung der Vorgänger, die leider auch für das jeweilige Remaster übernommen wurde, ist einer deutlich moderneren Eingabe gewichen. Auch die Kämpfe gehen gut von der Hand, wie schon erwähnt sollte man sich allerdings gerade auf dem PC gut überlegen, ob man mit Maus und Tastatur spielen will, denn dann stellen sich direkt wieder alte Frustmechaniken ein. Bei der Sprache kann man wieder zwischen Englisch und Japanisch wählen, gut lokalisierte deutsche Untertitel lassen sich dann auf Wunsch zuschalten. Die Sprecher leisten einen brauchbaren Job, arbeiten der Klischeehaftigkeit ihrer Figuren aber auch ganz bewusst zu. Über jeden Zweifel erhaben ist dagegen der Soundtrack, der nicht nur die Stimmung der Welt von Shenmue III toll einfängt, sondern auch neben vielen musikalischen Anleihen zu den Vorgängern dem Charme der späten Achtziger Jahre gerecht wird. In diesen Zeitraum lassen sich auch gefühlt die Menüs einordnen. Komfort ist anders.
Fazit und Wertung
„Zugegeben, obwohl ich damals viel Gutes über die Vorgänger auf dem Dreamcast gehört habe, bin ich erst viele Jahre später mit den jeweiligen Remastern zu Shenmue gelangt. Und schon dort musste ich mich arg zusammenreißen, um angesichts der forcierten Langsamkeit nicht irgendwann lustlos das Handtuch zu werfen – wäre da nicht die spannende Story gewesen. Shenmue III verfügt im Prinzip über sämtliche Stärken und Schwächen seiner Vorgänger, macht manches besser, anderes aber auch etwas schlechter. Wer die Geduld aufbringen kann, sich mit der bewusst forcierten Langsamkeit zu arrangieren, wird zumindest mit einer toll in Szene gesetzten und lebendigen Welt belohnt, die anders als alles andere auch ohne Nostalgiebrille überzeugen kann. Es ist eben genau, wie ich eingangs geschrieben habe. Yu Suzuki hat einmal mehr kein Spiel für jedermann erschaffen. Diejenigen, die seit 18 Jahren auf Nachschub gewartet haben, werden sicher nicht enttäuscht werden. Alle anderen werden wahrscheinlich irritiert einen großen Bogen um das Spiel machen. So war es schon damals, so ist es auch heute. Und beides ist vollkommen in Ordnung.“
PRO:
+ Viele wunderschöne Panoramen
+ Schöne Licht- und Partikeleffekte
+ Detaillierte Innen- und Außenareale
+ Angenehm belebte Welt
+ Zwei angenehm unterschiedliche Gebiete, die zum Erkunden einladen
+ Gute Fortsetzung der bekannten Geschichte…
+ …welche sich schnell vom altbekannten Rachemotiv der Vorgänger abwendet
+ Solider Gesamtumfang
+ Viele schrille Charaktere
+ Gut gemachte Minispiele
+ Praktisches Skip – Feature
+ Vier verschiedene Schwierigkeitsgrade
+ Viele Referenzen zu den Vorgängern enthalten
+ Solide übersetzte deutsche Untertitel
+ Atmosphärischer Soundtrack
+ Passende englische und japanische Sprecher
+ Sinnvoll optimierte Bewegungssteuerung
+ Optionale Zusammenfassung der bisherigen Geschehnisse
+ Zugängliches Eingabeschema (Gamepad)
CONTRA:
– Extrem wankelmütige Konsolenperformance
– Einige schwache Texturen
– Eher mau animierte Charaktere…
– …die sich teilweise zu sehr in Klischees verfangen
– Geschichte lässt einmal mehr Ende sowie zahlreiche Fragen offen…
– …und ist in ihren zu bewältigenden Aufgaben nicht immer schlüssig
– Viele Dialoge wiederholen sich…
– …und geizen nicht selten mit Belanglosigkeit
– Nervenstrapazierende Grindeinlagen
– Spielzeit wird teilweise arg künstlich gestreckt
– Im Grunde überflüssiges, weil störendes Energiehaushalten
– Klobiges, nicht mehr zeitgemäßes Kampfsystem
– Fummelige Maus- und Tastatursteuerung
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