Unter den zahlreichen Adventures, die ich von Kindesbeinen an voller Leidenschaft gespielt habe, hat Life is Strange seinerzeit einen besonders prägenden Eindruck hinterlassen und zählt in der Historie von M-Reviews.de immer noch zu den mit am höchsten bewerteten Titeln. Nun kehrt Max Caulfield endlich zurück. Wir sind für euch mit Life is Strange: Double Exposure erneut durch die Zeit gereist.
Entwickler: Deck Nine Games
Publisher: Square Enix
Plattform: PC | PlayStation 5 | XBOX Series X|S
Veröffentlichungsdatum: 29. Oktober 2024
Preis: ab 59,99€*
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Metacritic | OpenCritic | IMDB
Tempus fugit
Zehn Jahre sind seit den traumatisierenden Ereignissen in Arcadia Bay vergangen. Die begabte Fotografin Max Caulfield ist mittlerweile in ihren späten Zwanzigern und hat einen Dozentenjob an der Caledon Universität im lauschigen Vermont angenommen. Doch die Vergangenheit lastet wie ein immerwährender dunkler Schatten auf dem Alltag der jungen Frau. Selbst die Beziehung zu Chloe – sofern sie die Ereignisse des ersten Teils überlebt hat – ist an alldem zerbrochen. Trotzdem versucht Max, mit der Hilfe ihrer neuen Freunde Safi und Moses wieder nach vorne zu blicken. Mit der quirligen Barbetreiberin Amanda sowie dem selbstbewussten Vinh stehen sogar zwei potenzielle Romanzen im Raum. Nach all der Zeit scheint endlich wieder etwas Normalität in das Leben der ehemaligen Zeitreisenden eingekehrt zu sein.
Doch der leise Anflug von Glück ist nur von kurzer Dauer, denn nur wenige Augenblicke nach der gemeinsamen Sichtung eines Meteoritenschauers ist Safi tot – jemand hat ihr an einem nahegelegenen Aussichtspunkt direkt ins Herz geschossen. Eine plötzliche Eingebung hatte Max die Tat kurz zuvor angekündigt. Es folgen Tage tiefster Trauer, die gesamte Fakultät befindet sich in anhaltender Schockstarre. Die Polizei ist keine große Hilfe und geht von einem Selbstmord aus, obwohl am Tatort keine Waffe gefunden wurde. Fest entschlossen, die zahlreichen offenen Fragen um das Ableben von Safi zu klären, ermittelt Max auf eigene Faust und entdeckt dabei ganz neue Kräfte, mit denen sie zwischen zwei verschiedenen Realitäten hin- und herwandern kann. In der alternativen Welt ist Safi immer noch am Leben, schwebt aber trotzdem in akuter Gefahr. Und auch in vielen anderen Belangen nimmt das Leben dort einen etwas anderen Lauf.
Mit der Zeit stellt sich heraus, dass Safi einige brisante Geheimnisse gehütet hat, welche maßgeblich mit einem furchtbaren Vorfall auf dem Universitätsgelände in Zusammenhang stehen, der um jeden Preis verschwiegen werden soll. Schon bald verschwimmen nicht nur die Grenzen zwischen den Realitäten auf gefährliche Weise, sondern auch Freund und Feind lassen sich kaum noch voneinander unterscheiden. Und während sich Max immer tiefer in den Kaninchenbau gräbt und der grausamen Wahrheit immer näher kommt, braut sich am Horizont ein allzu vertrauter, zerstörerischer Sturm mit direktem Kurs auf die Stadt zusammen. Droht sich das Drama von Arcadia Bay nach all den Jahren zu wiederholen?
Morgen ist Heute schon Gestern
Wiedersehen macht Freude, denn mit Life is Strange: Double Exposure ist den Machern von Deck Nine Games als Thronfolger der ursprünglichen Entwicklerschmiede Dontnod Entertainment ein überwiegend würdiges Sequel gelungen. Wer den ersten Teil gespielt hat, darf sich über zahlreiche Referenzen und Querverweise freuen, verpflichtend ist das jedoch nicht. Wie viele Fans war auch ich anfangs überaus erbost über die Tatsache, dass man Chloe dieses Mal keinen aktiven Part in der Handlung zugesprochen hat. Tod oder Trennung, das sind die einzigen Optionen, zwischen denen es bereits anfänglich zu wählen gilt. Eine Entscheidung, die jedoch mit zunehmendem Spielverlauf immer nachvollziehbarer wird, weil alles andere innerhalb der Geschichte kaum Sinn gemacht hätte.
Deshalb: Erst spielen, dann beschweren. Anderenfalls verpasst ihr nämlich eines der besten Adventures der letzten Jahre. Die auf fünf Episoden aufgeteilte Handlung glänzt mit toll geschriebenen Charakteren, welche mir angefangen mit der gewohnt sympathisch-kessen Protagonistin rasch allesamt ans Herz gewachsen sind. Zugegeben, das Spiel ist so divers wie’s nur geht und zudem bis zur Unterkante mit linken Wohlfühlthemen angefüllt, definiert sich und seine handelnden Figuren aber nicht darüber – und genau das ist der feine Unterschied zwischen Erfolg und Totalschaden. Jeder Charakter verfügt über einen nachvollziehbaren und individuellen Hintergrund, den im Verlauf näher kennenzulernen mir unglaublich viel Spaß bereitet hat. Drama, Humor und Leichtigkeit gleichen sich dabei wunderbar aus.
Zwei Ausnahmen gibt es: Der ermittelnde Beamte macht einen furchtbar deplatzierten Eindruck, agiert komplett wirr und erfüllt für die Geschichte absolut keinen logischen Zweck. Und die Transfrau Gwen ist nicht nur chronisch unsympathisch, sondern entspricht optisch wohl eher einer Wunschvorstellung der identitätspolitischen Bubble. Da beide Figuren nur am Rande auftreten und der Rest der Riege absolut stimmig wirkt, kann man über diese Aussetzer besonders nach dem anhaltenden Trauma eines Dragon Age: The Veilguard aber locker hinwegsehen. Hier wird gezeigt, wie man es richtig macht, nämlich ohne Moralkeule, Holzhammer und permanente Belehrungen. Hier waren Autoren am Werk, die an einer Geschichte interessiert sind und nicht an der Zurschaustellung einer Agenda. Dafür gebührt den Machern großer Respekt.
Gute vierzehn Stunden dauert ein ausgiebiger Durchgang mit gleichzeitigem Fokus auf die freischaltbaren Erfolge, Langeweile ist dabei praktisch nie aufgekommen, obwohl einen hier spielerisch keine Herausforderung erwartet – dafür ist der Titel am Ende doch zu linear im Ablauf, zu großzügig mit seinen (wahlweise deaktivierbaren) Hinweisen. Kleine und große Entscheidungen wirken sich angemessen auf die weitere Erzählung aus und können zu mehreren Enden führen. Mehrmaliges Durchspielen lohnt sich also sehr, auch wenn die Dialoge abseits vom Sammelmodus nicht übersprungen werden können. Das viel zu offene Finale hinterlässt jedoch einen faden Beigeschmack, besonders die letzten beiden Episoden wirken überhastet abgefrühstückt, weil die Macher ein weiteres Sequel bereits fest eingeplant haben, was sich im Abspann dann auch bestätigt.
Unrealer Raum
Auch technisch hinterlässt Life is Strange: Double Exposure einen guten Eindruck. Selbst innerhalb des serientypischen, fast comicartigen Looks verfügen die Charaktere über eine realistische Mimik und geschmeidige Bewegungen. Sämtliche Schauplätze wurden mit viel Liebe zum Detail erschaffen, vor allem in der Bar und rund um den Campus herrscht durchgehend reges Treiben. In der lebendigen Welt lassen sich fast überall Gespräche belauschen, die uns einen tieferen Einblick in die alltäglichen Sorgen und Nöte der Menschen geben. Dazu gibt’s zahllose Objekte, die uns mit weiteren nützlichen Hintergrundinfos versorgen. Effekte und vor allem die Beleuchtung können sich absolut sehen lassen und tragen maßgeblich zu den vielen stimmigen Panoramen bei, die einem das von der potenten Unreal Engine 5 angetriebene Spiel offeriert.
Auf PlayStation 5 und der XBOX Series X stehen sowohl ein Leistungs- als auch ein Qualitätsmodus zur Verfügung. Letzterer löst in nativem 4K bei 30 Bildern pro Sekunde auf, während der Leistungsmodus die Bildrate verdoppelt, dafür aber die Auflösung auf 1080p reduziert. Außerdem werden die Schatten deutlich gröber wiedergegeben. Da es sonst aber keine nennenswerten Unterschiede zwischen den beiden Modi gibt, ist am Ende wie so oft alles eine Frage des persönlichen Geschmacks. Außerdem haben die Basismodelle beim Betreten einer neuen Szene immer wieder mit kurzen Texturnachladern zu kämpfen. Die Fähigkeiten der PlayStation 5 Pro werden gegenwärtig nicht unterstützt, die schiere Mehrleistung der Konsole beseitigt das Problem aber auch so. Die PC-Version macht ebenfalls einen runden Eindruck, bietet aber keinerlei Support für DLSS und Co., was mich doch etwas verwundert hat.
Die Bedienung geht über sämtliche Plattformen gut von der Hand, die besten Ergebnisse erzielt man trotzdem mit Gamepad, wobei der DualSense neben haptischem Feedback auch den Lautsprecher klug ins Geschehen einzubinden weiß. Neben der hervorragenden englischen Originalfassung, für die man Max’ ursprüngliche Sprecherin Hannah Telle erneut verpflichten konnte, wartet Life is Strange: Double Exposure auch mit einer deutschen und japanischen Synchronfassung auf, zwischen denen man jederzeit bequem über die Optionen wechseln kann. Die hiesigen Sprecher leisten ebenfalls tolle Arbeit, lediglich die Abmischung ist nicht immer perfekt. So hat man bisweilen das Gefühl, dass gesprochene Worte nicht direkt aus dem Charakter entspringen, sondern wie ein Kommentar aus dem Off darübergelegt worden sind. Das ist schwer zu erklären, dürfte im laufenden Spiel aber rasch klar werden. Ein gewohnt toller Indie-Soundtrack rundet die Klangkulisse wunderbar ab.
“Wie lange habe ich mich auf das Wiedersehen mit Max Caulfield gefreut, nur um nun voraussichtlich wieder ein paar Jahre warten zu müssen, bis es mit der hier endlich fortgeführten Geschichte erneut weitergeht. Bis zum viel zu offenen Ende wartet dafür ein gut geschriebener Mordfall darauf, mithilfe von Köpfchen und Superkräften gelöst zu werden. Die enthaltenen Themen gehen gerade weit genug in ihrer Inszenierung, dass auch eher konservative Spieler davon nicht abgeschreckt werden. Und technisch kann sich der Titel dank Unreal Engine 5 absolut sehen lassen. Einen hohen spielerischen Anspruch sollte man allerdings auch dieses Mal ebenso wenig erwarten wie eine ausufernde Erkundungsfreiheit. Spaß hat mir das Mystery-Abenteuer trotzdem gemacht.”
- Spannend erzählter Mystery-Krimi
- Überwiegend sympathische, vielschichtige Charaktere
- Handlung des Erstlings wird in zentralen Punkten aufgegriffen…
- …was das Verständnis für Neueinsteiger allerdings nicht behindert
- Sinnvoll durchdachtes Spiel mit den Realitäten
- Entscheidungen wirken sich spürbar auf die weitere Geschichte aus
- Visueller Stil mit Wiedererkennungswert
- Glaubwürdige Mimik
- Schicke Beleuchtung
- Guter Gesamtumfang
- Hoher Wiederspielwert dank mehrerer Enden
- Exzellente Sprecher
- Serientypisch toller Soundtrack
- Über sämtliche Plattformen angenehm kurze Ladezeiten
- Schnörkellose Bedienung
- Recht lineare Schauplätze
- Episoden IV und V extrem kurz
- Überhastetes, offenes Ende
- Ein paar Nebencharaktere fühlen sich deplatziert und unrealistisch an
- Spielerischer Anspruch praktisch nicht vorhanden
- Deutsche Synchronfassung nicht immer sauber abgemischt
- Basiskonsolen mit Texturnachladern
Entsprechende Rezensionsmuster sind von uns auf eigene Kosten gestellt worden.
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