Es muss erst schlimmer werden, ehe es besser wird – so oder zumindest so ähnlich lautet ein altes Sprichwort, welches auf Diablo IV viel zu gut passt. Nach den katastrophalen Spielanpassungen unmittelbar nach dem Launch hat sich zum Glück viel getan. Pünktlich zum Start der sechsten Season reichen Blizzard Entertainment mit Vessel of Hatred die erste Erweiterung nach.


Entwickler: Blizzard Entertainment
Publisher: Activision Blizzard
Plattform: PC | PS4 | PS5 | XB1 | XBS
Veröffentlichungsdatum: 19. September 2024
Altersfreigabe: ab 16 Jahren
Metacritic | OpenCritic | IMDB



Dschungelfieber
Mit dem Ableben von Lilith und Inarius, so sollte man meinen, ist in Sanctuario endlich wieder Frieden eingekehrt. Weit gefehlt, denn ohne den Erzengel wissen die Anhänger der Kathedrale des Lichts nicht mehr, wen sie anbeten sollen. Prompt reißt der religiöse Fanatiker Urivar die Macht an sich und macht gnadenlos Jagd auf jene, die mit den Mächten des Bösen auch nur ansatzweise in Kontakt geraten sind. Ganz oben auf seiner Liste steht Neyrelle, die sich am Ende der Hauptgeschichte mit Mephistos Seelenstein alleine auf den Weg nach Süden gemacht hat, um einen Weg zu finden, das Große Übel ein für alle Mal zu vernichten. Geschwächt und gequält von dessen immerwährenden Einflüsterungen und den Mächten der Kirche im Nacken, folgen wir unserer Freundin für etwas dringend benötigte Hilfe nach…

Zugegeben, am Ende der knapp zehn bis vierzehn Stunden umfassenden Erweiterung bleiben mehr Fragen offen, als beantwortet werden. Kein Wunder, denn Blizzard Entertainment haben sich mit Diablo IV ein Langzeitprojekt erschaffen, welches über den optimistischen Zeitraum von zehn Jahren regelmäßig mit neuen Erweiterungen versorgt werden soll. So ist Vessel of Hatred eben nur eine erste Etappe innerhalb eines sehr viel umfangreicheren Zyklus, was das abrupte Ende aber trotzdem nicht viel besser dastehen lässt. Bis dahin erwartet euch allerdings ein gewohnt düster inszeniertes, wendungsreiches Zusatzkapitel inklusive interessanter neuer Charaktere und zahllosen neuen Bedrohungen.

Im dichten Dschungel von Nahantu lauern zwischen uralten Ruinen und überwucherten Tempelanlagen jede Menge übler Kreaturen darauf, eurem Helden den Garaus zu machen. Das brandneue Areal hebt sich angenehm von den zahllosen Steppen und Sümpfen des Hauptspiels ab, lässt sich aber erst mit dem Abschluss der ursprünglichen Geschichte betreten. Wer lieber mit einem frischen Charakter direkt in die Erweiterung hüpfen will, kann das natürlich ebenfalls tun. Gerade Einsteigern ist das jedoch nicht zu empfehlen, da ihr es kurz nach Beginn des Zusatzkapitels bereits mit recht starken Gegnern aufnehmen müsst und ohne entsprechende Verbesserungen bei Trankkapazität und Talenten mit großer Wahrscheinlich kompromisslos in Grund und Boden geprügelt werdet. Für Veteranen ist die Möglichkeit aber eine willkommene Ergänzung.
Geister, Geister!
Vessel of Hatred hat aber nicht nur ein neues Gebiet im Gepäck, sondern ergänzt den bestehenden Heldenpool auch um eine taufrische Klasse: Der Geistgeborene betritt die Bühne als eine Art Hybrid aus Hexendoktor und Mönch, bewegt sich mit rasender Geschwindigkeit über die Schlachtfelder und nutzt mächtige Tiergeister, um seine Angriffe weiter zu verstärken. Dank des extrem facettenreichen Talentbaums lässt sich der Neuzugang an jeden Bedarf anpassen – egal ob man sich innerhalb der zwanzig neuen Dungeons durch gewaltige Gegnerhorden metzeln, oder es mit tödlichen Bossen auf höheren Qualstufen aufnehmen will. Praktisch ist, dass ihr dafür nicht ewig nach passenden Items grinden müsst, denn die Klasse verfügt auch ohne die begehrten Uniques über ein herausragendes Schadenspotenzial bei gleichzeitig guten Überlebensfähigkeiten.

In unserem bevorzugten Build generieren wir schier unendlich viel Primärressourcen, wodurch wir den mächtigen Quill Volley ohne Unterbrechung spammen können. Die blitzgeladenen Federsalven decken einen großen Teil unserer aktuellen Blickrichtung ab und kehren dank passendem legendären Perk sogar zu uns zurück, was zusätzlichen Bonusschaden verursacht. Als Ultimate beschwört der Geistgeborene gewaltige Tiergeister, die im Alleingang ganze Packs zum Platzen bringen können: Während der Tausendfüßler ein Gebiet um uns herum mit Gift überzieht, bringt der Jaguar zusätzliche Bewegungsfreiheit und zerreißt alles um sich herum mit seinen Klauen. Der Adler stürzt von oben auf seine Feinde herab, betäubt sie für wenige Augenblicke und entfesselt dann einen verheerenden Elektroangriff, während der Gorilla als letzter im Bunde mit seinen gewaltigen Fäusten auf den Boden schlägt und uns gleichzeitig eine schützende Barriere verleiht.




Mit dem Erreichen von Level 15 erhalten wir zudem Zugang zur Geisterhalle, wo wir uns zwei dieser Aspekte für zusätzliche Unterstützung in Form passiver Boni aussuchen können. Ärgerlich: Einsteiger, welche mit der neuen Klasse zuerst die Hauptgeschichte absolvieren möchten, erhalten darauf erst zum Ende Zugang, da sich der dazugehörige Questgeber in Gea Kul aufhält und die Hafenstadt erst nach Abschluss von Caldeum besuchen lässt. Aber keine Sorge, denn auch ohne diese Boni lässt sich der Geistgeborene problemlos spielen. Die Heldenklasse macht einen Heidenspaß, fügt sich perfekt in das bisherige Heldenaufgebot ein und liefert eine Vielzahl unterschiedlicher Spielweisen für jeden Anspruch. Aber auch die bestehenden Klassen dürfen sich natürlich auf neue Fähigkeiten freuen und machen jetzt mehr Spaß als je zuvor.
Brennpunkt: Endspiel
Unabhängig von der aktuellen Season führt Vessel of Hatred ein paar neue Inhalte ein, denen man sich bevorzugt nach Abschluss der Erweiterung widmen kann. Die Unterstadt von Kurast ähnelt den altbekannten Rifts aus Diablo III und treibt euch mit der Zeit im Nacken durch zufällig generierte Dungeons, an deren Ende stets ein besonders mächtiger Boss auf euch wartet. Das Töten von Gegnern und Absolvieren von Zufallsereignissen schaufelt wertvolle Extraminuten auf den Timer, weshalb es sich lohnt, jeden Winkel abzusuchen.
Der integrierte Shop offeriert wie schon beim Hauptspiel zahllose kosmetische Inhalte zu extrem hohen Preisen. Auf die allgemeine Spielbalance wirken die sich zwar nicht aus, weshalb wir hier auch anhaltend nicht zusätzlich abwerten, die horrende Preisgestaltung möchten wir an dieser Stelle aber dennoch nicht unerwähnt lassen.
Praktisch ist, dass ihr euch die Art der Abschlussbeute selbst aussuchen könnt. Dafür benötigt ihr aber zusätzliche Materialien, die ihr euch erst aus anderen Endspielinhalten zusammensammeln müsst. Wer darauf verzichten will, bekommt zum Abschluss den üblichen Kessel Buntes. Aber gerade, wenn man beispielsweise einem bestimmten Item hinterher jagt oder bevorzugt seine Herstellungsressourcen auffüllen möchte, spart einem diese optionale Komponente viel Zeit und Willkür. Ebenfalls neu ist Die schwarze Zitadelle, für die ihr zwangsläufig wenigstens einen, maximal aber drei Verbündete einpacken müsst, da ihr dort auf dem Weg zum Ziel regelmäßig einige Rätsel lösen müsst, welche nicht nur die Anwesenheit, sondern auch die Kommunikation mit anderen Spielern zwingend voraussetzen.

Für chronische Solisten ist das zwangsläufig ein Problem und grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man Mehrspieleraktivitäten nicht erzwingen sollte. Auf der anderen Seite ist das Ganze eher optional, da euch dort auch keine bessere Beute als in den restlichen Aktivitäten für hochstufige Charaktere erwartet. Der gemeinschaftliche Aspekt und das wirklich fantastisch in Szene gesetzte Areal sind jedoch gute Gründe, sich im Spiel schnellstens nach ein paar Freunden umzusehen. Natürlich nutzt sich auch dieser Content irgendwann ab und bringt einen wieder an diesen Punkt, wo man das Gefühl hat, alles zur Genüge erlebt und gesammelt zu haben. Bis dahin vergeht aber einiges an Zeit – unabhängig von der aktuell laufenden Season.
Rent-a-Hero
Mit der Rückkehr der Söldner aus Diablo III baut Vessel of Hatred eine nützliche Brücke zum geliebten Vorgänger. Insgesamt vier verschiedene Kämpfer lassen sich wahlweise für euren Kampf gegen das Böse rekrutieren. Ausrüstung lässt sich den Mietklingen zwar dieses Mal keine anlegen, dafür steht euch neben einem durchgehend aktiven Begleiter die Möglichkeit zur Verfügung, einen zweiten als passive Unterstützung in die Truppe aufzunehmen, der euch immer in einem frei bestimmbaren Moment zur Hilfe eilt, beispielsweise wenn ihr eine vorher eingestellte Fähigkeit an ihn koppelt. Jeder Söldner lässt sich maximal bis Stufe 10 aufleveln und erhält seine Erfahrung durch das Töten größerer Gegner, muss aber erst über eine Quest verfügbar gemacht werden. Habt ihr alle drei Söldner vollständig aufgewertet, schaltet ihr in eurem Versteck einen neuen Händler frei, in dessen gut sortiertem Angebot sich zahlreiche mächtige Gegenstände befinden.

Das ganze System funktioniert ziemlich gut und ist weit mehr als nur eine einfache Hilfe am Rande, da die Helfer nicht nur ordentlichen Schaden austeilen und gleichzeitig angenehm autonom agieren, sondern durch ihre verschiedenen Talente auch eine optimale Bereicherung für sämtliche erdenklichen Builds eurer Helden offerieren. Der einarmige Raheir lässt sich beispielsweise als Tank konfigurieren, bindet Gegner kurzzeitig an sich und versorgt uns mit einem ordentlichen Rüstungsbonus, der besonders innerhalb der Qualstufen Gold wert ist. Ohnehin schon sehr defensiv eingestellte Klassen verwandeln den Söldner einfach in eine Schadensklasse. Begebt ihr euch jedoch in eine Gruppe mit anderen Spielern, verschwinden eure Begleiter, welche sich auch sämtliche Erfahrung teilen müssen, wenn ihr euch für zusätzliche passive Unterstützung entscheidet.
Ruinierte Runen
Wer Diablo II gespielt hat, dürfte die Mechanik hinter den Runenwörtern bereits kennengelernt haben, wenngleich Vessel of Hatred das bekannte System in deutlich abgespeckter Form wiedereinführt – und das nicht unbedingt zum Guten. Denn obwohl die Kombinationen auf dem Papier tonnenweise Raum zum Experimentieren versprechen, sieht es in der Praxis ziemlich düster in Sachen tatsächlichem Nutzen aus. Die Runenkombination ersetzt zwei Sockelplätze eines Gegenstandes, eine davon dient zum Generieren sogenannter Opfergaben als eigenständiger Ressource, die andere bestimmt, wofür diese automatisch genutzt wird, sobald die nötige Menge generiert worden ist. Da ihr damit manche Fähigkeiten aktivieren könnt, über die beispielsweise nur ein Barbar verfügt, sorgt für zusätzliche Abwechslung und Möglichkeiten.

Das Problem ist, dass die Runen euch nicht einfach so vor die Füße fallen, sondern erst freigeschaltet werden müssen und selbst danach ist deren Drop nicht garantiert. Bis ihr die für euch passenden Kombinationen zusammenhabt, kann es angesichts Dutzender verschiedener Runen lange dauern. Und selbst dann gibt es nur ganz wenige effektive Kombinationen, die sich wirklich lohnen, während der große Rest überwiegend nutzlos bleibt, weil der Zugewinn beim Schaden einfach zu gering ausfällt. Zwar könnt ihr beim passenden Händler neue Runenwörter basteln und diese sogar auf mythische Stufen hochleveln, aber wie gesagt, all das kostet unverhältnismäßig viel Zeit und bedarf in meinen Augen nochmal einer gründlichen Überarbeitung.

„Die erste Erweiterung zu Diablo IV inklusive dem für alle zugänglichen Patch 2.0 krempelt das Spielgeschehen kräftig zum Besseren um und liefert nicht nur ein neues, abwechslungsreiches Gebiet voller frischer Herausforderungen, sondern fügt dem Heldenpool mit dem Geistsprecher auch eine extrem vielseitige Klasse hinzu. Mietkämpfer und (die dringend überarbeitungsbedürftigen) Runenwörter bringen beliebte Features der Vorgänger zurück und die neuen Endspielinhalte machen auch Stunden nach Abschluss der Geschichte Spaß. Deren viel zu offenes Ende lässt ein aber elendig fragend zurück. Nach den zahlreichen Startschwierigkeiten ist die endlose Monsterhatz aber endlich wieder auf dem Weg zum Hit. So darf es gerne weitergehen und ich persönlich kann die nächsten Erweiterungen gar nicht schnell genug in die Hände bekommen.“


- Nahantu als neues, abwechslungsreiches Gebiet…
- …mit durchgehend bedrohlicher Atmosphäre
- Interessante neue Charaktere
- Gut gemachte Zwischensequenzen
- Bestehende Geschichte wird nahtlos fortgeführt…
- …und anhaltend düster präsentiert
- Angenehm umfangreiches Zusatzkapitel ohne nennenswerte Längen
- Herausfordernde Bosskämpfe
- Geistsprecher als grandiose Ergänzung zum bestehenden Heldenpool
- Sinnvoll erweiterte bzw. überarbeitete Klassen
- Motivierende neue Endspielinhalte
- Zwanzig neue Dungeons
- Praktisch unbegrenzter Wiederspielwert für alle, die an mehr als nur der Geschichte interessiert sind
- Aufgeräumte Schwierigkeitsstufen…
- …für wirklich jeden Anspruch
- Flexibel anpassbare Söldner…
- …mit wirklichem Mehrwert im Kampf
- Beutespezialisierung extrem praktisch
- Gute deutsche Sprecher
- Stimmiger Soundtrack

- Abruptes Ende lässt zahlreiche Fragen offen
- Großteil der Runenwörter nahezu nutzlos…
- …und viel zu umständlich zu erlangen
- Schwarze Zitadelle setzt zwangsläufig Mitspieler voraus
- Klassenfähigkeit für Erstspieler des Geistsprechers mit primärem Fokus auf die Originalkampagne erst sehr spät zugänglich


Entsprechende Rezensionsmuster sind uns freundlicherweise vorab von Blizzard Entertainment zur Verfügung gestellt worden.
*Unsere Links werden nicht mit einer Monetarisierung versehen
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