Baldur’s Gate III

Wir schreiben das Jahr 2023. Die gesamte Videospielindustrie wurde von Mikrotransaktionen, kostenpflichtigen Pässen aller Art, trostlosen Wiederverwertungen, allgemeiner kreativer Lustlosigkeit und fragwürdigen Ideologien besetzt. Doch ein Studio aus Belgien hört nicht auf, den Besatzern Widerstand zu leisten. Der dazu nötige Zaubertrank hört auf den Namen Baldur’s Gate III und ist nach Jahren im Early-Access-Kochtopf nun endlich soweit, um ausgeschenkt zu werden. Das Ergebnis ist nicht nur eine der besten rundenbasierten Spielerfahrungen aller Zeiten, sondern auch ein Spiel, an dessen Gesamtqualität sich zukünftig eine gesamte Branche messen lassen muss.   

Entwickler: Larian Studios

Publisher: Larian Studios

Plattform: PC | PlayStation 5

Veröffentlichungsdatum: ab 03. August 2023

Preis: ab 59,99€*

Altersfreigabe: ab 18 Jahren

Metacritic | OpenCritic | IMDB


Mikrotransaktionen
Ungeschnitten


Schatten über Faerûn

120 Jahre nach den Ereignissen von Baldur’s Gate II regt sich im beschauerlichen Faerûn erneut das Böse. Die Ilithiden haben einen Großangriff gestartet und planen, einen Großteil der Bevölkerung mithilfe von Parasiten in ihresgleichen zu verwandeln. Auf ihren Schiffen werden die Entführten in Stase gehalten, bis der Transformationsprozess abgeschlossen ist. Ein Schicksal, dass auch unserem Charakter bevorsteht, doch zum Glück wird der Kahn zu Spielbeginn von den mächtigen Flugdrachen der Githyanki abgeschossen und kentert nach einigen Portalsprüngen im ersten Höllenkreis von Avernus. An Bord des Wracks erwacht, machen wir zunächst die Bekanntschaft der Halbelfin Schattenherz, die genau wie wir ebenfalls einen Parasiten in sich trägt. Und auch die mürrische Githyanki-Kriegerin Lae’zel schließt sich uns in der Hoffnung auf Heimkehr an. Schnell stellt sich heraus, dass zwischen den Infizierten eine besondere mentale Verbindung existiert. Nachdem es uns gelungen ist, das Schiff nach Faerûn zurückzubringen, müssen wir nun schleunigst eine Heilung für den Parasiten finden…und wenn noch Zeit bleibt, ganz nebenbei noch die Welt zu retten. 

Lae’zel begegnet uns zu Beginn argwöhnisch, kann mit der Zeit aber zu einer wertvollen Verbündeten und sogar Geliebten werden. Mit der Klerikerin Schattenherz verbindet sie eine natürliche Feindschaft.

Wie wir das alles anstellen, liegt ganz bei uns, unseren ureigenen Fähigkeiten und nicht zuletzt entscheidet auch der Zufall wie immer kräftig mit, wie sich die Reise entwickelt. Einen Vorgeschmack auf die immense kreative und spielerische Freiheit erhaltet ihr bereits bei der Charaktererstellung, wo ihr wahlweise aus einer Reihe vorgefertigter Helden samt Hintergrundgeschichte wählen könnt, oder einfach selbst Baumeister spielt und sämtliche bedeutsamen Aspekte von der Herkunft über Aussehen bis zur Klasse inklusive Fähigkeiten komplett selbst bestimmen könnt. Zwei Stunden Zeit gewährt einem Steam in der Regel, um einen Titel anzuspielen und dann bei Nichtgefallen schnörkellos zurückgeben zu können, aber wer sich wirklich mit Leidenschaft ins Rollenspielvergnügen stürzen will, dürfte dort bereits das komplette Kontingent ausreizen, ohne auch nur einen Schritt getätigt zu haben. Was Larian Studios alleine bei der Ausgestaltung an Optionen offeriert, ist schier atemberaubend. Wer sich ohne Umwege ins Gemetzel stürzen möchte, ist mit den vordefinierten Charakteren aber ebenfalls bestens bedient, dann bleiben euch aber zahlreiche Klassen wie Waldläufer, Paladin und Co. verwehrt. 

Der Charaktereditor bietet schier unendliche Möglichkeiten für einen ganz individuellen Helden – ebenso aber auch einen gut ausgearbeiteten Schnelleinstieg mit exzellenten Vorlagen.

Je nach Entscheidung kann es sogar sein, dass ihr im weiteren Verlauf der Handlung geheime Subklassen freischaltet. Handeln wir als Paladin beispielsweise gegen unseren Eid, erhalten wir Zugang zu dunkler Magie, die man als regulärer Streiter im Dienste des Lichts freilich nie einsetzen würde. So oder so: Unmittelbar nach der Rückkehr aus der Hölle steht es euch völlig frei, welcher Aufgabe ihr euch zuerst zuwenden möchtet. Eine komplette Party auf die Beine zu stellen, ist allerdings nicht verkehrt und glücklicherweise warten in näherer Umgebung bereits ausreichend mutmaßliche Gefährten darauf, von euch eingesammelt zu werden. Bei denen handelt es sich aber nicht um stumme Schergen, die jede eurer Handlungen kritiklos mittragen, sondern um äußerst komplexe Persönlichkeiten mit ganz eigenen Motivationen, Hintergründen, Ansichten – und manch gut verborgenem Geheimnis. Die offenbaren sich allesamt aber erst nach und nach und das auch nur bei ausreichend Sympathie. Mit der Zeit ist es sogar möglich, Liebesbeziehungen zu den Verbündeten einzugehen. All das ist wie so vieles andere im Spiel komplett optional und doch so gut und unaufdringlich implementiert worden, dass man sich gerne darauf einlässt, selbst wenn es einem spielerisch nichts nützt.

Unendliche Geschichten

Und genau darin liegt eine der zentralen Stärken von Baldur’s Gate III verborgen. Was als mutmaßlich einfache Geschichte um das Loswerden ungewollter Parasiten beginnt, entwickelt sich bereits innerhalb weniger Stunden zu einem extrem facettenreichen und vielschichtigen Epos, welches sich mit jedem neuen Durchgang völlig unterschiedlich entwickeln kann, ohne dass sich irgendwas davon je repetitiv anfühlt. Selbst auf den ersten Blick unscheinbare Begegnungen können der Anfang einer umfangreichen Questreihe sein, deren erzählerische Qualität weit über dem steht, worauf andere Entwickler ganze Titel aufbauen. So begegnen wir am Eingang zu den Sümpfen beispielsweise einer alten Vettel, die auf den ersten Blick von zwei Wegelagern bedroht wird. Dass sich dahinter eine tragische Geschichte um den Verlust eines geliebten Gatten und den verzweifelten Versuch einer Ehefrau dreht, diesen wieder ins Leben zurückzubringen, erfahren wir erst später, wenn uns die Neugierde mitten in einen diabolischen Hexenbau geführt hat. 

Die Sumpfhexe verspricht Bittstellern die Lösung aller Probleme, verlangt dafür aber in der Regel einen furchtbaren Preis. Ob wir diesem Treiben ein Ende setzen wollen, liegt ganz bei uns.

Ähnlich umfangreiche Aufgaben warten in Faerûn quasi an jeder Ecke. Die Art und Weise, wie ihr diese Aufgaben löst, variiert dabei mindestens so sehr wie die Augen der Würfel, die im Hintergrund jeden eurer Züge bestimmen. Verweigern wir Hilfesuchenden die Unterstützung, ziehen sie möglicherweise alleine los und wir finden nachher durch Zufall deren Überreste in irgendeiner Höhle. In Baldur’s Gate III hat jede Entscheidung Gewicht. Natürlich gibt es immer eine Art Ideallösung, aber ein Spiel wie dieses lebt davon, sich von seinem persönlichen Gewissen leiten zu lassen und zumindest im ersten Durchgang danach zu handeln. Wer trotzdem auf Teufel komm raus nach den bestmöglichen Ausgängen sucht, kann durch die jederzeit verfügbare Speicherfunktion auf Wunsch versuchen, eventuelle Fehlentscheidungen zu korrigieren, riskiert dadurch aber einen Großteil der Immersion. Zu lernen, mit den Folgen seiner Entscheidungen zu leben, kann dem Spielspaß viel Gutes beisteuern. Im wahren Leben kann man schließlich auch nicht einfach am Rad der Zeit drehen. Dass einem die Macher trotzdem einen Notausgang offerieren, ist eine gute Sache für alle, die es mit dem Rollenspiel nicht ganz so ernst nehmen möchten.

Die neue Führung im Druidenhain setzt ihren Machtanspruch mit drakonischen Maßnahmen durch. Unsere Gruppe versucht, zwischen den Fronten zu vermitteln. Da Hexenmeister Wyll über hohes Charisma verfügt, überlassen wir ihm die Gesprächsführung.

Und man muss nicht zwangsläufig immer auf den Pfaden der Tugend wandeln, um seine Ziele zu erreichen. Manch einer lässt sich eben nicht nur mit schmeichelhaften Worten überzeugen, schließt sich irgendwo eine Tür, öffnet sich woanders eine neue. Manche bieten uns Hilfe an, verlangen dafür aber Dinge, die wir aus individuellem Moralempfinden nicht mittragen können. Das bedeutet aber nicht, dass dass Spiel damit vorzeitig an einem Ende angelangt ist. Baldur’s Gate III stellt den Spieler immer wieder vor schwierige Entscheidungen, wobei man bedenken muss, dass wir dafür innerhalb unserer Gruppe gleichermaßen auf Ablehnung wie Zustimmung stoßen könnten. Ebenso reagiert die nahe Umgebung darauf, wenn wir es uns durch unser Handeln mit einer kompletten Bevölkerungsgruppe verscherzen. Verscherzen wir es uns zum Beispiel mit der zwielichtigen Goblin-Priesterin, müssen wir uns gegen eine komplette Burg erwehren. Darüber freuen sich zwar einige Flüchtlinge im Druidenhain, die ihre Reise nun gefahrlos fortsetzen können, dafür können wir auf ein paar einzigartige Händler nicht mehr zurückgreifen und uns gegenüber sämtlichen Goblins nicht mehr mit Diplomatie erwehren, weil die uns sofort als Sippenmeuchler wiedererkennen. 

Eine unscheinbare Scheune dient einem Ork und einer beleibten Ogerdame als Ort für ihr Liebesspiel. Beide sind über die Störung alles andere als begeistert.

Verbünden wir uns dagegen mit den mordlustigen Kleinlingen und legen den Hain in Schutt und Asche, bekommen wir später anderweitig Probleme. Da geschicktes Verhandeln genauso viel Erfahrung bringt wie ein Kampf, lässt sich mit einem charismatischen Redner oft viel mehr erreichen. Der hat nämlich viel höhere Chancen, bei einem Überzeugungswurf hoch genug zu punkten. Kleinere Herausforderungen lassen sich in der Regel zuverlässig mit allen Charakteren meistern, aber gerade bei bedeutungsschweren Dialogen solltet ihr aufgrund der zu erwartenden Schwierigkeit den Charakter mit dem höchsten Charismawert als Verhandlungsführer vorschicken. Der vampirische Schurke Astarion kommt dagegen bevorzugt zum Einsatz, wenn irgendwo ein Schloss geknackt werden muss und kann dank erhöhter Wahrnehmung auch einfacher versteckte Schalter ausmachen. Es gibt unglaublich viele verschiedene Werte, auf deren Basis ihr argumentieren könnt. Umso spannender ist es, sich in die Fähigkeiten eurer Partymitglieder einzuarbeiten und auszuloten, wo deren jeweilige Stärken (und Schwächen) liegen und wie ihr von beidem am ehesten profitieren könnt. Dank nahtlosem Koop mit Unterstützung für bis zu vier Spieler wird es umso besser, wenn man jeden Zug und jede Entwicklung miteinander abspricht. Grenzen, wie viele Durchgänge ihr gleichzeitig laufen lassen möchtet, gibt es dabei jedoch nicht, ihr könnt also problemlos solo durch Faerûn ziehen und dann mit wenigen Klicks zu eurer Koop-Party wechseln, ohne dass das untereinander zu irgendwelchen Problemen führt. 

Alea iacta est

Baldur’s Gate III basiert auf dem Regelwerk von Dungeons & Dragons 5e, wurde von den Entwicklern aber minimal modifiziert, um etwas vorteilhafter für die Spieler zu arbeiten. Alles in allem hat man die Vorlage aber überaus präzise umgesetzt und an vielen Stellen gar sinnvoll erweitert. Wer seine Wochenenden bevorzugt mit Freunden an einem großen Tisch verbringt und sich dort leidenschaftlich Pen & Paper widmet, dürfte hier seine feuchten Träume verwirklicht sehen. In der Konsequenz bedeutet das natürlich auch, dass wir es hier keineswegs mit einem einsteigerfreundlichen Titel zu tun haben. Wer bisher so wie ich mit rundenbasierten Rollenspielen nichts am Hut gehabt hat, wird in den ersten Stunden mechanisch komplett erschlagen. Zwar werden die wichtigsten Funktionen wie das Würfelprinzip ausreichend erklärt, bis das alles jedoch in Fleisch und Blut übergeht, vergeht viel Zeit. Ich kann sehr gut verstehen, wenn das viele Unentschlossene abschreckt. Auf der anderen Seite ist das alles erlernbar und im Netz kursieren bereits seit den Tagen des Early Access jede Menge Guides und Builds, die Einsteigern das Leben immens erleichtern können. Im Vergleich zu Divinity II ist der Einstieg deutlich einfacher geraten, zwischen den insgesamt drei Schwierigkeitsgraden kann jederzeit bequem gewechselt werden. Wer mit rundenbasierten Strategiespielen nie etwas anfangen konnte, wird mit Baldur’s Gate III trotz fantastischem Story- und Charactertelling sowie der wunderschön vielseitigen und hochimmersiven Welt keine Freude haben. 

Der Zauberer Gael verfügt bereits früh über einige mächtige Sprüche. Hier setzen wir einen Feuerzauber gegen einen bissigen Gnoll ein. Die mächtigsten Fähigkeiten im Spiel stehen uns aber zwischen langen Rasten immer nur einmal zur Verfügung und sollten daher weise eingesetzt werden.

Dabei ist es das Grundprinzip im Kern sehr leicht verständlich: Jede wichtige Handlung, ob in Kämpfen, Dialogen oder anderweitigen Aktionen wie dem Knacken von Schlössern wird im Erfolg durch eine Vielzahl von Würfeln definiert. Je nach Attributen eurer Charaktere kann es mal einfacher, ebenso aber auch mal schwieriger sein, zum gewünschten Ergebnis zu gelangen. Besondere Boni können die Chancen zwar erhöhen, aber nicht garantieren. Greift ihr Gegner aus der Entfernung an, sinken die Chancen für einen erfolgreichen Treffer, je weiter das Ziel entfernt ist, wobei unter anderem auch das persönliche Geschick im Umgang mit dem dazugehörigen Angriff eine Rolle spielt. Nahkämpfer schlagen trotzdem munter daneben, wenn ihnen mit der ausgerüsteten Waffe die nötige Erfahrung fehlt oder negative Effekte wie schlechte Sicht aktiv sind. Generell gilt: Wenn ihr Charaktere, die nicht darin geübt sind, mit falscher Rüstung oder Waffen ausrüstet, tut ihr ihnen damit keinen Gefallen, denn der beste Schutz und die höchste Angriffskraft ist wenig wert, wenn man damit nichts anfangen kann. Zwar könnt ihr solche Defizite mit zunehmender Stufe ausgleichen, verbaut euch damit aber möglicherweise andere nützliche Fähigkeiten, auf die ihr dann später keinen Zugriff mehr bekommt. 

Die Spinnenmatriarchin zählt zu den Bossen im Spiel, beharkt unsere Truppe von stetig wechselnden Positionen mit Giftangriffen und beschwört außerdem regelmäßig Spinnlinge zur Unterstützung. Ohne gute Taktik ist dem kraftvollen Vieh kaum beizukommen.

An kniffligen Bosskämpfen mangelt es dem Spiel nicht. Hier bekommt ihr es in der Regel mit besonders starken Gegnern zu tun, denen ihr aber ebenso vielfältig beikommen könnt wie allen anderen Herausforderungen im Spiel. Das Überraschungsmoment kann eine wichtige Rolle spielen, um schnell mithilfe von Vorteilen einige schwere Treffer zu landen. Werdet ihr dagegen überrascht, könnt ihr einige der besten Fähigkeiten nicht verwenden. Habt ihr eure Zauberpunkte bereits aufgebraucht und vergessen, eine Rast einzulegen, stehen euch im Worst Case nur noch Basisangriffe zur Verfügung. Bei solchen Auseinandersetzungen muss man gleichzeitig überlegen, ob man gleich komplett in die Offensive gehen will, oder einige Mitglieder erst mit wertvollen Buffs versehen möchte. Die meisten Bosse setzen nämlich auf Elementarangriffe, denen man grundlegend nicht viel entgegensetzen kann, wenn man nicht besondere Resistenzen geskillt hat. Die Spinnenmatriarchin wartet tief unter dem Brunnen eines verlassenen Dorfes auf uns und bewacht dort ein kostbares Juwel, welches für eine bestimmte Quest wichtig ist. Wer die nicht machen will, kann den Boss auch einfach links liegen lassen, lässt sich aber auch potenziell wertvolle Beute entgehen. Das achtbeinige Ungetüm schießt und bevorzugt aus der Distanz mit Giftstrahlen ab und teleportiert sich zwischen verschiedenen Standpunkten hin und her. Dem Ungetüm planlos hinterher zu jagen endet nach wenigen Zügen zuverlässig im Tod der ganzen Party.

Im Bersekermodus können Kriegerklassen mit entsprechender Spezialisierung brutale Angriffe entfesseln. Der feindliche Paladin dürfte das nicht überleben – es sei denn, die Würfel resultieren in einem Fehlschlag.

Zum Erfolg führen mehrere Strategien. Der ganze Kampfbereich ist komplett mit Netzen überzogen, die empfindlich auf Feuer reagieren. Anstatt dort also selbst reinzulaufen und im schlimmsten Fall einige Züge dort steckenzubleiben, warten wir einfach, bis die Matriarchin sich auf eine der Netzbrücken teleportiert und zerstören das Ding im Anschluss mit einem Feuerpfeil, worauf der Boss verheerenden Fallschaden kassiert und erst mühsam wieder den Weg nach oben finden muss. In der Zeit können wir die komplette Verstärkung einfach mit unseren stärkeren Charakteren in den Abgrund schubsen und dadurch eliminieren. Als der Boss nach einer guten halben Stunde dann endlich tot vor unseren Füßen lag, war das Erfolgsgefühl ähnlich hoch wie sonst nur bei einem Soulslike. Manche Kämpfe können durchaus noch länger dauern, was dank dem bereits erwähnten freien Speichern aber nicht schlimm ist. Träge fühlt sich das Geschehen dabei nie an, im Gegenteil: Seit den Tagen eines Dragon Age: Origins habe ich innerhalb rundenbasierter Kämpfe nicht mehr so viel Spannung verspürt! Solltet ihr trotz wiederholter Versuche konstant an einer Herausforderung scheitern, hilft es, die Party zu wechseln und vielleicht ein paar neue Strategien auszuprobieren. Da der Wechsel ins Lager mit einem einfachen Knopfdruck an jedem Ort außerhalb der Kämpfe möglich ist, könnt ihr euer Setup in weniger als einer Minute komplett umkonfigurieren und seit dann bereit für den nächsten Angriff. Die zurückgelassenen Gefährten bekommen trotzdem sämtliche Erfahrungspunkte gutgeschrieben, nerviges Nachleveln entfällt also dankbarerweise komplett. 

Im Lager können wir nahezu jederzeit unsere Party verwalten und vertiefende Gespräche führen, um unseren Gefährten näher zu kommen oder unser Verhalten bewerten zu lassen. Mit der Zeit warten hier auch nützlich Verbündete darauf, uns auf Bedarf ihre Dienste anzubieten.

Das Lager bietet nebenbei nicht nur eine ruhige Zone zum Entspannen und Auffüllen eurer Aktionspunkte (sofern ihr ausreichend Verpflegung besitzt), sondern ist auch ein praktischer Dreh- und Angelpunkt für intime Gespräche abseits der zahlreichen Fronten. Jeder Gefährte hat seinen eigenen kleinen Rückzugsort, besteht Gesprächsbedarf, wird das durch eine gut sichtbare Markierung dargestellt. Mehrere Beutekisten bieten ausreichend Stauraum für gesammelte Ressourcen oder Ausrüstung, die ihr nicht permanent mit euch herumschleppen, aber andererseits auch nicht verkaufen möchtet. Und wer die Welt aufmerksam erkundet, kann sogar Händler in die Basis locken, ebenso aber auch einen geheimnisvollen Untoten, der euch gegen bare Münze umskillen lässt oder die Dienste von Mietklingen anbietet. Wer nicht sicher ist, ob ein Gefährte euch gegenwärtig zustimmend oder eher ablehnend gegenüber eingestellt ist, kann diesen bequem danach fragen. Ein bisschen mehr Interaktion zwischen den Charakteren, wie es Rockstar Games zum Beispiel innerhalb der Lager in Red Dead Redemption II implementiert hat, fehlt mir hier dann doch, denn das permanente regungslose Herumstehen passt so gar nicht in diese sonst so lebendige Welt, in der jeder NPC selbstständig irgendwelchen Tätigkeiten nachgeht. 

Ohne Gängeln und Zwängeln

Bei allem, was das Spiel einem bietet, muss man mittlerweile ja schon damit rechnen, dass einem irgendwann ein paar kostenpflichtige Booster, kosmetische Items oder anderweitiges Zeug gegen Echtgeld auf die Augen gedrückt wird. Hier kann man zum Glück Entwarnung geben, denn die Entwickler haben komplett auf Echtgeldinhalte jedweder Art verzichtet. Selbst die überwiegend unsinnigen Battle Passes sucht man hier vergebens, zudem lässt sich das Spiel solo ohne Einschränkungen offline bewältigen und fordert keinen permanenten Internetzwang ein. Ein Durchgang alleine kann zwischen siebzig und hundert Stunden in Anspruch nehmen. Wollt ihr alles entdecken, was Faerûn zu bieten hat, könnt ihr diese Zahl locker verdreifachen und dann in einem neuen Durchgang doch ein komplett anderes Spiel erleben. Dabei wurde auf Qualität genauso viel Wert gelegt wie auf Quantität. 

Baldur’s Gate III bietet für den Preis mehr Inhalt als zehn aktuelle AAA-Games zusammen, verzichtet dabei aber trotzdem komplett auf zusätzliche Monetarisierung.

Man merkt in jedem Moment, dass hier Leute am Werk waren, die ihre Arbeit wirklich lieben. Wo ein Diablo IV mit aller Macht (und komplett überteuerten Cosmetics) versucht, zusätzlich zum Verkaufspreis von knapp siebzig Euro noch mehr Geld aus den Spielern zu pressen, ein Call of Duty selbst die Käufer teuerster Editionen noch mit zusätzlichen Echtgeldpässen drangsaliert, uninspirierte Remaster zum Vollpreis auf die Leute losgelassen werden und unfertige Spiele entgegen aller Vernunft auf die Leute losgelassen werden, präsentiert sich Baldur’s Gate III als angenehm komplette, durchdachte und fertige Erfahrung, die über den gesamten Zeitraum im Early Access aktiv auf das Feedback der Spieler gehört hat. Der Erfolg gibt den Machern Recht. Und führende Spielepublisher können ihre monetarisierungsverseuchten, uninspirierten Produktionen zukünftig kaum noch glaubhaft mit dem Argument verteidigen, dass man ohne all das gar keine Spiele mehr machen könnte. 

Auch visuell ein Ereignis

Unter der Haube des Spiels werkelt die Divinity Engine 4.0, ein eigens für das Spiel entwickeltes Gerüst mit Support für DirectX 11 und Vulkan als Grafikschnittstellen. Raytracing unterstützt das Spiel zwar nicht, innerhalb einer so gewaltigen offenen Welt wäre das aber auch für die besten Rechenknechte auf dem Markt eine gegenwärtig kaum stemmbare Herausforderung. Und nötig ist das sowieso nicht, denn auch ohne echtzeitberechnete Schatten und Reflektionen sieht das Spiel über weitere Strecken einfach nur fantastisch aus. Schon bei der Charaktererstellung zu Beginn wird deutlich, mit welcher Sorgfalt die einzelnen Assets erstellt worden sind. Die bereits hervorragende Darstellungsqualität von Diablo IV wird hier nochmal um ein gutes Stück übertroffen. Erst Recht, wenn es um Mimik und Co. geht, denn Freude, Zorn und Trauer lassen sich aufgrund der hervorragend umgesetzten Animationen jederzeit problemlos aus den Gesichtern der zahlreichen Figuren herauslesen – und das gilt nicht nur für die Hauptcharaktere, sondern selbst für den unbedeutendsten Gemüsehändler im hintersten Eck eines kleinen Dorfes. Bei der schieren Anzahl an Nicht-Spieler-Charakteren trotzdem dafür zu sorgen, dass keiner völlig dem anderen gleicht, ist umso eindrucksvoller. Zusätzlich aber noch allesamt mit einer Stimme zu versehen, statt auf Volltext zu setzen, ist ein weiteres Zeichen für die Leidenschaft der Macher, wenn es darum geht, die Immersion zu jedem Zeitpunkt hoch zu halten. 

Auch in dunklen Höhlen wie dieser kann sich das Spiel absolut sehen lassen. Besonders die dynamische Beleuchtung und die detaillierten Texturen stechen hier hervor.

Auch in Sachen allgemeiner Grafikqualität muss sich der Titel nicht vor aktuellen AAA-Produktionen verstecken, im Gegenteil: Bis auf ein paar schwache Texturen – besonders bei Felsen und kleinen Teilen der Vegetation – besticht das Spiel mit hochdetaillierten Texturen. Eine stimmige Beleuchtung in Kombination mit hübsch dargestellten Partikeleffekten sowie sauber dargestellten Schattenwürfen hebt die Stimmung zusätzlich und lässt Faerûn auch abseits der überraschend blutigen Kämpfe wie aus einem Guss wirken. Dass bei dem immensen Umfang auch nach Jahren der Entwicklungszeit noch nicht alle Bugs getilgt sind, ist natürlich klar. Trotzdem sind mir im Verlauf des Spiels weit weniger technische Probleme begegnet, als ich zunächst erwartet habe. Hier und da trüben kleinere Lokalisierungsfehler in der sonst sehr vorbildlich in Form von Untertiteln umgesetzten deutschen Übersetzung das Vergnügen. Abstürze gab es jedoch nie, egal wie oft man aus dem Spiel und wieder zurück getappt ist. Über Vulkan ist die Performance insgesamt besser als via DirectX 11, letzteres hat zum Beispiel im Druidenhain extrem unschöne Ruckler produziert, die nach einem Schnittstellenwechsel komplett verschwunden waren. Das größte Manko ist gegenwärtig die nicht immer gelungene Kameraführung. Gerade in Innenräumen verheddert sich die frei zoom- und drehbare Kamera gerne mal unschön in der Decke oder irgendwelchen Ecken, was die Übersicht empfindlich stört.

Die titelgebende Hauptstadt des Spiels ist ein wahrer Augenöffner und nur eine von vielen dichtbevölkerten Gebieten in der gigantischen Welt, wo sich nicht einmal ein belangloser Feldweg generisch anfühlt.

Besonders beim erneuten Laden eines Spielstandes kann es trotz schneller SSD zu einiger Wartezeit kommen. Im Spiel selbst gehen die Szenen aber fast nahtlos ineinander über, nachgeladen wird nur äußerst selten. Für Besitzer einer regulären Festplatte wird ein spezieller Modus angeboten, der auf Kosten des Arbeitsspeichers Inhalte vorlädt, dafür steht euch aber für alles andere weniger Speicherleistung zur Verfügung. Die PC-Version entpuppt sich als exzellent optimiert und bietet nicht nur zahlreiche Feineinstellungen, sondern auch passende Vorschaubilder, mit denen ihr die Auswirkungen der jeweiligen Settings komfortabel miteinander vergleichen könnt. Selbst auf mittleren Einstellungen sieht der Titel klasse aus, ein richtiger Augenöffner präsentiert sich einem jedoch erst in nativem 4K mit maximalen Details. Baldur’s Gate III ist nicht nur deutlich größer als Sanctuario, sondern auch abwechslungsreicher und schöner. Die generischen Welten aktueller Open-World-Titel von Ubisoft können da sowieso einpacken. Dass sich das Spiel auch auf etwas älterer Hardware flüssig spielen lässt und dabei trotzdem nie hässlich aussieht, ist definitiv ein zusätzliches Lob wert. Leider erscheint die Fassung für PlayStation 5 erst im September, die Portierung für XBOX Series X|S verzögert sich gegenwärtig besonders aufgrund von Anpassungsschwierigkeiten an die schwächere Series S bis ins kommende Jahr. Da aber auch die Bedienung via Gamepad am PC hervorragend funktioniert, stehen die Chancen darauf, dass das Spiel auch die aktuelle Konsolengeneration im Sturm erobern wird, ziemlich gut! 

Trotz Millionen von Dialogzeilen wurde jede Unterhaltung komplett mit exzellenten englischen Sprechern vertont. Die deutsche Lokalisierung ist gelungen, weist aber hier und da kleinere Fehler auf.

Der filmreife Soundtrack, gut gewählte englische Sprecher und nicht zuletzt die fantastisch in Szene gesetzten Zwischensequenzen tragen ihren Teil dazu bei, dass man sich niemals gelangweilt durch die vielen Dialoge skippen will, sondern jede Szene in sich aufsaugen will. So und nicht anders entsteht ein Mittendringefühl. Wenn die Macher sich jetzt noch den kleineren Bugs erfolgreich annehmen und darüber hinaus die gelegentlichen Wegfindungs- und Interfaceprobleme in den Griff bekommen, steht dem sich jetzt schon anbahnenden Sensationserfolg endgültig nichts mehr im Weg. 

„Mittlerweile habe ich so viele Tage in Faerûn verbracht, so unendlich viel erlebt und gesehen und doch bleibt am Ende immer noch das Gefühl, dass mir mindestens genauso vieles entgangen ist. Baldur’s Gate III ist eine Bestie von Spiel, in jedweder Hinsicht. Nach sechs Jahren harter Arbeit ist den Machern von Larian Studios gelungen, was seit so geraumer Zeit niemandem sonst mehr zu gelingen scheint, nämlich ein Spiel zu erschaffen, dass so voller Inhalt, so voller Leidenschaft und Liebe steckt, sich dabei gleichermaßen vertraut wie frisch anfühlt und doch für jeden eine gänzlich unterschiedliche Erfahrung offeriert. Ein Spiel, dass sich immer wieder neu entdecken lässt. So viel gibt und doch nie mehr dafür verlangt als einen einmaligen Preis. Diese Welt und alles, was sich darin verbirgt, wird in Punkto Design, Storytelling und Gameplay auf ganz lange Zeit ein Maßstab für alles sein, was ihr nachfolgen will. Wer sich in diesem Jahr nur ein einziges Spiel zulegen will, kommt um dieses Meisterwerk nicht herum und sei es nur, um gemischtrassigen Beischlaf mal auf eine ganz neue Weise zu erleben. Zum Glück bietet Baldur’s Gate III so viel mehr als das. Rollenspielhasser und chronische Muffel rundenbasierter Kämpfe dürfte all das am Ende trotzdem nicht zum Kauf verführen. Wer sich aber erstmal in die Mechaniken einarbeitet und daran Freude empfindet, wird auf lange Sicht nichts anderes mehr anfassen. Nicht nur ein klarer Kandidat für das Spiel des Jahres, sondern auch ein Anwärter für das Spiel einer ganzen Generation.“

  • Unverbrauchtes Setting
  • Fantastische Atmosphäre
  • Opulentes Welt-, Charakter- und Kreaturendesign
  • Abwechslungsreiche, liebevoll gestaltete Areale
  • Für ein Rollenspiel maßstabsbildende Animationen
  • Ansehnliche Effekt- und Lichtkulisse
  • Spannende Kämpfe mit hoher strategischer Komponente
  • Facettenreiche Hauptcharaktere mit eigener Persönlichkeit
  • Spannende, extrem umfangreiche Hauptgeschichte
  • Gelungener Humor inklusive Dialogwitz
  • Tonnenweise Nebenmissionen auf überwiegend eindrucksvollem erzählerischen Niveau
  • Viele verschiedene Lösungswege…
  • …und noch mehr mögliche Enden
  • Schier unendliche spielerische Freiheit
  • Mächtiger Charaktereditor
  • Zig verschiedene Klassen inklusive Subklassen…
  • …die sich allesamt komplett unterschiedlich spielen
  • Gutes Balancing
  • Unbegrenzt hoher Wiederspielwert
  • Schnörkelloser Koop-Modus für bis zu vier Spieler
  • Es können mehrere Durchgänge gleichzeitig gespielt werden
  • Mindestens siebzig Stunden Spielzeit pro Durchgang
  • Unendlich viel zu entdecken
  • Entscheidungen mit spürbaren Konsequenzen
  • Sehr gute englische Sprecher
  • Deutsche Texte überwiegend sauber lokalisiert
  • Stimmiger Soundtrack
  • Übersichtlich gestaltete Menüs
  • Angemessene Tutorials
  • Laden und Speichern jederzeit möglich
  • Drei jederzeit wechselbare Schwierigkeitsstufen
  • Auf Wunsch komplett mit Maus spielbar
  • Überraschend solide Steuerung via Gamepad
  • Überraschend fehlerfrei
  • Gelegentliche Kameraprobleme, besonders in engen Innenräumen
  • Interface setzt ab und zu aus
  • Partymitglieder mit Wegfindungsproblemen
  • Statisches Lagerleben
  • Kleinere Lokalisierungsfehler
  • Hier und da etwas schwache Texturen
  • Teils lange Wartezeiten beim Laden von Spielständen
  • Es könnte häufiger automatisch gespeichert werden
  • Für Neulinge im Genre schnell überfordernd

Entsprechende Rezensionsmuster sind uns freundlicherweise vorab von Larian Studios zur Verfügung gestellt worden.

*Unsere Links werden nicht mit einer Monetarisierung versehen.

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