Bereits seit Generationen gelingt es Resident Evil mal mehr, mal weniger erfolgreich, seinen Spielern kalte Angstschauer über den Rücken zu jagen. Über die Jahre hat sich der Urvater des Survival Horrors dabei immer wieder neu erfunden. Mit Resident Evil 4 gelang CAPCOM seinerzeit eine waschechte Revolution, welche auch außerhalb des Genres spielerisch neue Maßstäbe setzte und sich im Ranking der besten Ableger regelmäßig auf den obersten Plätzen wiederfindet. Dass auch dazu früher oder später ein waschechtes Remake erscheinen würde, war also quasi nur eine Frage der Zeit. Nun ist die Neuauflage endlich fertig und demonstriert zumindest auf PC und aktuellen Konsolen, wie waschechte Remakes aussehen müssen.
All-Inclusive-Trip in die Hölle
Mit Spanien verbinden die meisten von uns köstliche Cuisine, traumhafte Sandstrände und gelegentlich auch ernstzunehmende Herausforderer bei größeren Fußballturnieren. Im abgelegenen Hinterland ist von alldem nur wenig zu sehen, stattdessen wirkt die Szenerie teilweise so, als wäre die Zeit irgendwo im frühen 19. Jahrhundert stehengeblieben. Ausgerechnet hierhin verschlägt es den mittlerweile als Regierungsagenten tätigen Ex-Polizisten Leon S. Kennedy sechs Jahre nach den Ereignissen in Raccoon City und dem damit verbundenen Ende der Umbrella Corporation. Sein Auftrag: Ashley, die Tochter des U.S.-Präsidenten aus der Gewalt der fanatischen Sekte Los Illuminados und deren Anführer Saddler zu befreien. Der hat mithilfe seiner Parasiten bereits eine komplette Dorfgemeinde in willenlose Zombies verwandelt und will nun auch den Rest der Welt nach seinen kranken Vorstellungen transformieren, wobei Ashley unfreiwillig eine zentrale Rolle spielen soll.
Rette das Mädchen und im Anschluss die Welt: Storytechnisch bleibt das Remake trotz einiger Änderungen ähnlich dünn gestrickt und agiert grundsätzlich nahe an der Vorlage. Der Mix aus waschechtem Horror und trashigem B-Movie bleibt dementsprechend auch hier erhalten, wirkt insgesamt aber besser ausbalanciert. Davon profitieren besonders die Hauptcharaktere und deren Interaktion miteinander. Mir gefällt, dass Leon anders als im Original nicht mehr als eiskalter Held dargestellt wird, den so gar kein Wässerchen trüben kann, sondern als kantiger Einzelkämpfer, der immer noch spürbar an den vergangenen Ereignissen zu knabbern hat. Und auch Ashley ist nicht mehr das dumme Blondchen von einst, sondern präsentiert sich hier erstmals als eigenständige Persönlichkeit, ohne dass sich das zu irgendeinem Zeitpunkt forciert anfühlt. Resident Evil 4 Remake steckt immer noch voller skurriler Figuren wie dem Burgbesitzer Salazar, die Tendenz zu mehr Bodenständigkeit tut dem Spiel aber speziell in Hinblick auf die im Vergleich zum Original sehr viel düstere Atmosphäre absolut gut.
Gute fünfundzwanzig Stunden hat unser erster Durchgang gedauert, wobei das natürlich immer davon abhängig ist, wie gründlich ihr die Areale absucht und auf welcher Schwierigkeit ihr das Abenteuer stemmen wollt. Die zahlreichen Zusatzinhalte des Originals, darunter die Zusatzkampagne aus der Perspektive von Serienliebling Ada Wong und der Mercenaries-Modus haben es leider nicht in modernisierter Form ins Remake geschafft und fehlen daher gegenwärtig alternativlos. Zumindest die Kampagne soll in naher Zukunft als sehr viel umfangreicherer, kostenloser DLC nachgereicht werden. Abseits der schwachen Rahmenhandlung und dem unverändert zähen letzten Akt ist es den Machern außerordentlich gut gelungen, den modernen Klassiker nicht nur für eine ganz neue Generation neu zu erschaffen, sondern gleichzeitig auch eingefleischten Kennern ausreichend frische Ansätze zu liefern, um sich nochmal ganz neu in das Spiel verlieben zu können und dabei gleichzeitig ein stetiges Gefühl wohlig-warmer Vertrautheit zu verspüren.
Alles eine Frage der Harmonie
Dass man bei der heutigen Spielerschar mit einer hoffnungslos veralteten Tanksteuerung keinen Blumentopf mehr gewinnen kann, haben die Macher längst verinnerlicht, weshalb bei Resident Evil 4 Remake nun dieselbe überarbeitete Bedienung wie bei den Neuauflagen zu den beiden Vorgängern zum Einsatz gelangt. Anders als noch im Original darf Leon seine Waffen nun auch in Bewegung nutzen und ist nicht mehr gezwungen, bei jedem Angriff wie festgefroren (und damit schutzlos) auf der Stelle zu verharren. Das zeitgemäße Bedienschema bringt nicht nur mehr Dynamik ins Geschehen, sondern sorgt gleichzeitig auch für mehr Übersicht in Arealen, wo uns die Gegner aus mehreren Richtungen flankieren können. Der bekannte Laserpointer ist nicht von Anfang an verfügbar, sondern muss erst beim Händler erworben werden. Ganz so essentiell wie früher ist das Accessoire im Remake aber nicht mehr, denn auch mit dem regulären Fadenkreuz lässt sich prima zielen.
Identisch zum Original ist dafür die Verwaltung eurer Ausrüstung geblieben. Leon startet mit einem kleinen Koffer, in den zu Beginn nur wenige Heilkräuter, Munitionspakete und Co. Platz finden. Im Laufe des Spiels könnt ihr eure Tragekapazitäten beim dubios anmutenden Händler aber stetig erweitern. Der maskierte Mann bietet gegen harte Währung nicht nur überlebenswichtige Items aller Art, sondern auch Upgrades für eure Waffen. Gleichzeitig könnt ihr dort auch sämtliche gefundenen Schätze verkaufen, doch aufgepasst: Manche Wertsachen erzielen erst dann maximalen Erlös, wenn sie mit weiteren speziellen Juwelen kombiniert werden. Neu ist, dass ihr jetzt erstmals auch in Resident Evil 4 Remake bestimmte Items miteinander kombinieren könnt, um auch abseits der sicheren Händlerorte frische Munition herzustellen. Während ihr auf einfachen Schwierigkeitsgraden wohl nie um knappe Vorräte bangen müsst, mutiert das Spiel auf knackigeren Stufen zu einer gewohnt waschechten Survival-Herausforderung, wo nicht nur Ressourcen- sondern auch Platzmanagement entscheidend für das Überleben sind. Damit wird für jeden spielerischen Anspruch eine passende Erfahrung geboten.
Praktisch: Ashley verfügt nun nicht mehr über einen Lebensbalken, sondern fällt im Ernstfall einfach kraftlos zu Boden und kann dort jederzeit von euch ganz ohne Einsatz von Kräutern und Sprays wiederbelebt werden. Das dauert allerdings immer einige Sekunden, sollte also nicht inmitten von Kämpfen stattfinden. Ein weiterer Vorteil ist, dass ihr mit euren Angriffen nun nicht mehr Gefahr lauft, euer Begleiterin versehentlich einen Teil ihrer Lebenspunkte abzuziehen. Dass sich eure Begleiterin in Gefahrensituationen aber immer noch als nutzlos entpuppt und sich ihrer eigenen Haut nur sehr bedingt erwehren kann, zählt auch in Resident Evil 4 Remake weiterhin zu den Kernmechaniken. Wenn ihr also nicht auf Ashley achtet und den Gegnern die erfolgreiche Entführung gelingt, heißt es ohne Umschweife Game Over. Zum Glück setzt das Spiel nicht nur ausreichende, sondern auch faire Checkpoints, weshalb ihr in dem Fall problemlos einen neuen Anlauf wagen könnt, ohne euch um eure letzte manuelle Speicherung sorgen zu müssen.
Die Mischung aus klassischen und neuen Mechaniken geht hier wirklich wunderbar auf, auch wenn ich mir natürlich gewünscht hätte, dass Ashley etwas autonomer agiert. Davon abgesehen haben die Macher aber wirklich nur jene Elemente des Originals beibehalten, die heute noch genauso gut funktionieren wie damals. Kein Wunder also, dass man sich dabei auch der viel zu zahlreichen Quicktime-Events entledigt hat, obwohl euer Reaktionsvermögen hier und da dennoch weiterhin auf die Probe gestellt wird. Dabei ist nicht nur eine insgesamt sehr harmonische Spielerfahrung entstanden, viel mehr hat als Kenner der Vorlage das Gefühl, dass der Titel sein ursprüngliches Potenzial erst in dieser Form richtig ausschöpft. Was das angeht, ist Resident Evil 4 Remake sogar noch eine ganze Schippe runder als die bereits mehr als gelungene Neuauflage zum zweiten Teil und nicht nur ein definitiver Anwärter auf das Spiel des Jahres, sondern gleichzeitig auch auf den Titel eines der besten Remakes aller Zeiten.
Die Technik macht den Unterschied
Resident Evil 4 hat eine ziemlich umfangreiche Veröffentlichungsgeschichte hinter sich. Ursprünglich ausschließlich auf dem Nintendo Gamecube entschieden, sind über die Jahre immer neue Portierungen erschienen und nicht alle davon wurden mit Wohlwollen aufgenommen. Die Rede ist hier natürlich besonders von der ursprünglichen PC-Version, welche vor allem mit gravierenden Bedienungsschwierigkeiten aufwartete. Aber selbst die letzten Veröffentlichungen – unter anderem für PlayStation 4 und XBOX One – konnten die zahlreichen Alterserscheinungen der damals revolutionären Formel nicht mehr verbergen. Das Remake wurde komplett neu auf Basis der hauseigenen RE-Engine erstellt und transportiert das Abenteuer mit einem Schlag eindrucksvoll in die Moderne. Toll animierte Modelle, überwiegend detaillierte Texturen und eine stimmige Licht- und Partikelkulisse tragen kombiniert mit den abwechslungsreich gestalteten Arealen allesamt zu einer stimmigen Gruselkulisse bei, die auf PC, XBOX Series X und PlayStation 5 dank optional zuschaltbarem Raytracing sogar noch einen Ticken atmosphärischer rüberkommt.
Ein bisschen Raum für Kritik bleibt dennoch: So liegt die PlayStation 5 unabhängig vom Modus bei der Bildqualität derzeit ein gutes Stück hinter der XBOX Series X und produziert mit aktivierter chromatischer Aberration zusätzliche Unschärfen. Manche Umgebungstexturen wirken allgemein selbst auf höchsten Einstellungen ziemlich matschig und der Grafikmodus in nativem 4K von XBOX Series X und PlayStation 5 empfiehlt sich aufgrund der damit verbundenen Bildratenschwankungen allenfalls für Besitzer eines VRR-tauglichen Displays. Vorbildlich ist, dass auf diesen Konsolen überraschend viele Optionen zur Feineinstellung zur Verfügung stehen. So könnt ihr nicht nur beide Modi mit Raytracing kombinieren und diverse Filter nach Belieben an- und ausschalten, sondern auch eine erweiterte Darstellung der Haare nutzen, wenn ihr es denn wünscht. Die Performance hat darunter kaum zu leiden. Wer eine durchgehend stabile Bildrate von 60 Frames wünscht, sollte aber zumindest auf den Konsolen die Finger vom lassen. Und wer über die nötige Hardware verfügt und absolut nicht kompromissbereit ist, wird mit der vorbildlich optimierten PC-Version ebenso gut bedient und bietet auch auf Mittelklassekomponenten immer noch einen soliden Kompromiss aus Leistung und Qualität.
Mit Abstand auf den letzten Plätzen finden sich die Fassungen für PlayStation 4 und XBOX One wieder, welche besonders unter der Tatsache zu leiden haben, dass dort keinerlei Möglichkeit besteht, die Bildrate auf einen festdefinierten Wert zu locken. In der Konsequenz schwankt die Bildrate dauerhaft munter hin und her. Zwischen vierzig und fünfzig Frames lassen sich im Durchschnitt messen, wobei in beruhigten Innenarealen auch schonmal etwas mehr drin ist. Das sind Unterschiede, die man nicht nur sehen, sondern auch fühlen kann – und nichts davon ist schön. Hinzu kommt, dass die Basismodelle gerade einmal bei 900p auflösen, worunter die allgemeine Bildqualität spürbar zu leiden hat. Die erweiterten Modelle lösen im Leistungsmodus bei 1080p auf, offerieren eine dramatisch stabilere Bildrate bei maximal 60 Frames pro Sekunde, während die jeweiligen Grafikmodi ebenfalls natives 4K ausgeben, dafür aber auf 30 Frames beschränkt sind und hier und da einige grafischen Abstriche hinnehmen müssen, alles in allem aber wirklich gut spielbar sind. Mit weniger sollte man sich hier definitiv nicht zufrieden geben.
Die Bedienung geht nicht nur mit Gamepad, sondern auch mit Maus und Tastatur sehr gut von der Hand. Wer in letzter Zeit ein paar Stunden mit den vorangegangenen Remakes verbracht hat, wird sich hier sofort zuhause fühlen. Gleichzeitig werden die haptischen Features des DualSense gut ausgenutzt, was sich besonders spürbar auf das Abzugsgefühl beim Schießen auswirkt. Die deutschen Sprecher leisten allesamt gute Arbeit, wobei Puristen wahrscheinlich die japanische Originalvertonung bevorzugen werden. Grundsätzlich klingt aber keine der zahlreichen mitgelieferten Synchronfassungen schlecht, ein Wechsel ist jederzeit möglich und die dazugehörigen, optional zuschaltbaren Untertitel wurden sauber lokalisiert. Mehr noch als von seiner gut gewählten Sprecherriege punktet Resident Evil 4 Remake aber durch seine exzellente Soundkulisse in Verbindung mit einem hochwertigen Heimkinosystem, die mich im Test nicht selten angsterfüllt zusammenzucken ließ. Ein gelungener Soundtrack rundet die fantastische Atmosphäre optimal ab.
“CAPCOM legt die Messlatte in Bezug auf gelungene Remakes einmal mehr höher und liefert mit der Neuauflage zu Resident Evil 4 einen absoluten Ausnahmetitel ab, der die klassische Formel des Originals an den richtigen Stellen modernisiert, ohne dabei dessen Ursprünge aus den Augen zu verlieren. Dank der zahlreichen sinnvollen Erweiterungen bei Story- und Charaktertelling gibt es sogar für Kenner noch Neues zu entdecken. Grafisch und atmosphärisch lässt die RE-Engine besonders auf PC und Current-Gen-Konsolen ordentlich die Muskeln spielen und erlaubt sich allenfalls kleinere Aussetzer, auf den Basismodellen von PlayStation 4 und XBOX One muss das Remake aber derart viele Federn lassen, dass hier nur sehr bedingt Spaß aufkommt. Am Ende sind es nur wenige Kritikpunkte, welche dem Spiel die volle Punktzahl verweigern. Ein besseres Remake werdet ihr unter Voraussetzung der richtigen Plattform aber gegenwärtig weit und breit nicht finden. Viel besser kann man einen Klassiker garantiert nicht aufbereiten. Damit ist Resident Evil 4 Remake nicht nur für Fans der Reihe absolutes Pflichtprogramm.”
- Grandiose Gruselatmosphäre
- Stimmige Licht- und Effektkulisse
- Hervorragend animierte, detailverliebte Modelle
- Abwechslungsreiche Areale
- Stimmiger Mix aus klassischen und modernen Spielelementen
- Zeitlos gute Balance aus Erkundung, Gefechten und Rätselpassagen
- Erweiterungen fügen sich gut ins Spielgeschehen ein
- Vier fair ausbalancierte Schwierigkeitsgrade
- Massiv verbesserte, zeitgemäße Bedienung…
- …sowohl bei Bewegung als auch im Kampf
- Facettenreiche Bosskämpfe…
- …und grundsolide Gegnervarianz
- Wiederspielwert dank New Game+
- Gut gewählte Sprecher
- Packende Soundkulisse
- Atmosphärischer Soundtrack
- Zugängliche Bedienung über sämtliche Eingabegeräte
- Auf Basismodellen der letzten Generation technisch schwach
- Bildqualität der PlayStation-5-Version gegenwärtig nicht befriedigend (Stand: Version 1.02, 24.03.23)
- Mercenaries ersatzlos gestrichen
- Zum Finale hin etwas zäh
- Ashley lässt grundlegende Autonomie weiterhin konsequent vermissen
- Relativ belanglose Rahmenhandlung
Entsprechende Rezensionsmuster sind uns freundlicherweise vorab von CAPCOM zur Verfügung gestellt worden.
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