Neun Jahre sind eine lange Zeit. In der Medienbranche ist das eine schiere Ewigkeit, in der Trends innerhalb eines Augenzwinkerns kommen und wieder gehen. Über einen derartigen Zeitraum ein Spiel zu entwickeln, stellt deshalb in der Regel ein immenses Risiko dar, nicht nur für die Macher – sondern auch die Geldgeber hinter dem Projekt. Deep Silver und Dambuster Studios haben es trotzdem gewagt und Dead Island 2 trotz aller Schwierigkeiten nun endlich fertiggestellt. Hat sich das Warten gelohnt?
Gestrandet in Zombietown
Nachdem die Zombies bereits in einem tropischen Urlaubsressort gewütet haben, ist die Epidemie nun auch in der Hochburg der Reichen und Schönen ausgebrochen, denn neuerdings wird auch Kalifornien von den Untoten heimgesucht. Unfähig, die Plage mit konventionellen Mitteln in den Griff zu bekommen, wird der ewig sonnige Westküstenstaat kurzerhand abgeriegelt und zur Sperrzone erklärt. Und genau dort stranden wir als einer insgesamt sechs schrägen Charakteren, nachdem unser Flugzeug mitten im Zombiegebiet abgestürzt ist. Bis uns der erste Infizierte seine Zähne in den Leib jagt – was uns, wie wir alle wissen, automatisch ebenfalls alsbald zu verwandeln droht -, dauert es nicht lange. Doch wider Erwarten sind wir gegen die Seuche komplett immun. Hurra! Jetzt gilt es, uns mit anderen Überlebenden zusammenzuschließen und irgendwie einen Ausweg aus dem ganzen Schlamassel zu finden…
Tja…und viel mehr gibt es über die Handlung von Dead Island 2 eigentlich auch nicht zu sagen. Wichtig ist am Ende aber immer, was man daraus macht. Und Dambuster Studios machen innerhalb der ersten von insgesamt zwanzig bis fünfundzwanzig Stunden Gesamtspielzeit schnell deutlich, dass sie nie vorgehabt haben, das Genre zu revolutionieren, sondern lieber Bekanntes verfeinern wollen. Dieses Vorhaben kann man guten Gewissens als gelungen bezeichnen, denn obwohl das Rad hier ganz sicher nicht neu erfunden wird, hat mich der Ausflug nach HELL-A dank seiner skurrilen Nebencharaktere wie dem abgehalfterten Rocker Ricky X sowie den für das Genre ungewohnt bunten Kulissen gut unterhalten. Dass sich das Spiel selbst nie sonderlich ernst nimmt, erahnt man bereits anhand der vor Spielbeginn vorgestellten Helden, die vom Partyhengst bis zur ausfallenden Punkerin ziemlich jedes bekannte Filmklischee abdecken, hintenraus aber genau wie alle übrigen Charaktere nie nervig rüberkommen und immer einen markigen Spruch auf den Lippen haben.
Dabei sollte man seine anfängliche Wahl mit Sorgfalt treffen, denn später zu einem anderen „Slayer“ zu wechseln erlaubt einem das Spiel nicht, dafür aber immerhin ausreichend Slots, um simultan mehrere Durchgänge abzuspeichern. Außerdem kommt jeder Charakter nicht nur mit unterschiedlichen Attributen daher, sondern verfügt außerdem auch über zwei einzigartige Perks. So gewinnt Amy beispielsweise Ausdauer zurück, wenn sie einen Zombie mit einer geworfenen Waffe tritt und teilt gegen einzelne Zombies mehr Schaden aus, während der ängstliche Ryan durch erfolgreiche Blocks kurzzeitig an Stärke gewinnt und bei erfolgreichen Niederschlägen Gesundheit regeneriert. Dagegen wirkt die Punkerin Dani gegenwärtig etwas zu übermächtig, denn die verfügt zwar nur über sehr niedrige Regenerationswerte, ist dafür aber überaus zäh und löst mit ihren schweren Angriffen mächtige Explosionen um das getroffene Ziel aus. Insgesamt lässt sich das Spiel mit jedem Charakter bewältigen, aber gerade der Anfang kann mit eher schwächeren Grundwerten etwas schwieriger geraten.
Ein semi-offenes Bastlerparadies
Anders als der erste Blick vermuten lässt, ist das hier dargestellte Los Angeles keine komplett offene Welt, in der man barrierefrei hin- und herwandern kann, sondern wurde auf insgesamt zehn in sich geschlossene Areale unterteilt, in denen neben den eher generischen Hauptmissionen eine Vielzahl von Nebentätigkeiten auf euch warten, darunter den durchaus stimmig inszenierten Vermisstenmeldungen auf den Grund zu gehen, die in der Regel durch auffindbare Objekte Einblick in die das Schicksal der Verschwundenen offerieren und deswegen manchmal sogar besser geschrieben wirken als die eigentliche Geschichte des Spiels. Venice Beach und Co. wurden dabei optisch nahe an den realen Vorbildern gestaltet und überzeugen durch ihr abwechslungsreiches, detailverliebtes Design. Alleine die Panoramen im Sonnenauf- bzw. Untergang können sich sehen lassen.
Dank der praktischen Schnellreisefunktion müsst ihr zwischen den Gebieten aber keine horrenden Spaziergänge in Kauf nehmen, obwohl die stetigen Aufeinandertreffen mit den zahlreichen Zombies natürlich wertvolle Erfahrungspunkte einbringen. Dead Island 2 verfügt übrigens über einen einheitlichen Schwierigkeitsgrad, der sich für Genreveteranen aber allenfalls als mäßig fordernd entpuppt. Ich empfinde das Balancing als angenehm ausgeglichen und hatte nie das Gefühl, irgendwo dauerhaft festzuhängen oder mich unfair behandelt zu fühlen, auch weil es einem selten an Materialien für Medikits oder andere Ausrüstung mangelt, für die ihr im Verlauf des Spiels mehr und mehr Rezepte erhaltet, um auch ungewöhnlichere Waffen wie Blitzklingen herzustellen, mit denen sich mehrere Gegner auf einmal kurzzeitig betäuben lassen – außer, sie verfügen über entsprechende Resistenzen.
Dank der überall großzügig in HELL-A verteilten Werkbänke ist der nächste Hort zum kreativen Basteln nie weit entfernt. Hier könnt ihr nicht nur Mods aller Art ausrüsten und neue Vernichtungswerkzeuge schmieden, sondern auch kaputte Ausrüstung reparieren. Lediglich die wenigen verfügbaren Schießprügel bleiben verweilen immer im Bestzustand, dafür ist Munition in der Welt von Dead Island 2 grundsätzlich ein knappes Gut. Weil sich die zahlreichen Nahkampfwaffen im Einsatz aber überaus befriedigend anfühlen und das Balancing der Schusswaffen grundsätzlich nicht das Gelbe vom Ei ist, macht der Nahkampf sowieso viel mehr Spaß, weshalb ihr euer Erspartes lieber anderweitig investieren solltet. Insgesamt lässt die Auswahl an ausgefallenen Tötungsmitteln kaum Wünsche offen. Zwar ist das Arsenal nicht so vielseitig und freaky wie z.B. in einem Dead Rising, bietet aber eine ausgeglichene Balance zwischen Realismus und künstlerischer Freiheit, was auch viel besser in das allgemeine Setting des Spiels passt.
Zwischen Kartenkrampf und Zensuren
Es ist ja nicht alleine der alljährliche Ärger über entsprechende Komponenten in Sportspielen aller Art, denn das System, Fähigkeiten alleine über Karten zuzuweisen, stößt mir grundsätzlich sauer auf, weil ich einfach mehr ein Anhänger klassischer Talentbäume bin. Dass dieser Trend außerhalb von FIFA und Co. längst wieder ausgestorben ist, in Dead Island 2 aber weiterhin Verwendung findet, ist einer der wenigen negativen Indikatoren dafür, dass sich der Titel wirklich über lange Jahre in der Entwicklung befunden hat. Zwar könnt ihr die verschiedenen Fähigkeiten über insgesamt vier Kategorien jederzeit tauschen, dafür mangelt es dem Deck an verfügbaren Karten aber eindeutig an einem brauchbaren Angebot für Spieler, die lieber in die Offensive gehen und sich nur dann in die Defensive begeben, wenn auch die letzte mitgeführte Waffe zerbrochen ist und der letzte Heilgegenstand im Angesicht ganzer Zombiehorden gerade verwendet wurde.
Obwohl die Karten also nicht so spürbar ins Gewicht fallen, wie ich mir das gewünscht hätte, macht Dead Island 2 gameplaytechnisch eine Menge Spaß. Die Motivation, die unendlich um die Ecke watschelnden Gegner mit immer neuen, ausgefallenen Werkzeugen zu zerlegen und dabei auch die Umgebung mit einzubeziehen, ist anhaltend hoch. Es ist schon verdammt befriedigend, unter anderem eine ganze Horde Untoter auf eine Wasserlache zu lotsen und anschließend den Strom einzuschalten. Damit das auch auf Dauer abwechslungsreich bleibt, bieten die Macher ausreichend Varianz im Gegnerdesign an, so dass ihr es nicht ausschließlich mit langsam durch die Straßen schlurfenden Hirnlosen zu tun bekommt, sondern teilweise auch mit wahlweise sehr agilen oder einfach sehr zähen Feinden. Weniger erinnerungswürdig sind dagegen die Bosskämpfe geraten, die mich in der Regel ziemlich enttäuscht zurückgelassen haben, weil sie sich einfach zu belanglos im Vergleich zum restlichen Geschehen anfühlen.
Leider erscheint das Spiel in Deutschland nur in leicht zensierter Form, hier lassen sich getötete Zombies nicht mehr nachträglich zerlegen. Braucht man in der Theorie zwar nicht, aber Zensur ist Zensur und als solche grundsätzlich inakzeptabel. Erschwerend hinzu kommt, dass durch diesen geringfügigen Eingriff das Zusammenspiel im KoOp ebenfalls beeinflusst wird, weil die Zensuren auch hier greifen, sobald man mit der deutschen Fassung einem beliebigen Spiel beitritt – und zwar für alle gleichermaßen! Glücklicherweise bieten die meisten Händler einen kaum teureren Import an und da das Spiel sowieso ausschließlich mit englischer Vertonung aufwartet, entsteht euch dadurch auch in Sachen Lokalisierung kein Nachteil. Es ist einfach nur schwachsinnig, dass man hierzulande mittlerweile problemlos Titel wie Mortal Kombat durchwinkt, sich bei solchen Spielen – darunter zuletzt auch das ähnlich gestrickte Dying Light 2 – immer noch krampfhaft an solchen Kleinigkeiten aufhängt, zumal Dead Island 2 in Sachen Blut und abgetrennten Gliedmaßen wirklich ähnlich hart in die Vollen geht. Problematisch war hier wohl, dass man Leichen dank hauseigener F.L.E.S.H.-Techik schichtweise bis auf das Skelett zerlegen kann. Schade drum!
Unreal am Limit
In einer Zeit, wo fast kein Spiel mehr halbwegs fehlerfrei auf den Markt geworfen ist, präsentiert sich Dead Island 2 überraschend sauber in seiner Umsetzung. Die lange Entwicklungszeit hat dem Spiel sichtbar gutgetan, kleinere Macken wie beim Kollisionsverhalten fallen nicht groß ins Gewicht und dürften sich zügig per Patch beseitigen lassen. Dabei sind die Macher bisher nicht gerade durch erfolgreiche Großprojekte aufgefallen, das zuletzt veröffentlichte Homefront: The Revolution von 2016 kann man zumindest nicht gerade als Klassiker bezeichnen. Und nach den ganzen Scherereien, die im Hintergrund rund um die Produktion ans Tageslicht gelangt sind, hätten wohl nur die Wenigstens gedacht, dass Dambuster Studios am Ende nicht nur einen unterhaltsamen, sondern eben auch weitestgehend fehlerfreien und visuell ansehnlichen Titel wie diesen abliefern würden.
Unter der Haube werkelt hier die Unreal Engine 4, die aufgrund ihrer bekannten Probleme mit dem Streamen von Texturen wahrscheinlich dankbar sein dürfte, dass die Entwickler die Welt auf mehrere Areale unterteilt haben, ebenso aber auch die betagten PlayStation 4 und XBOX One, auf denen das Spiel ebenfalls erscheint. Tatsächlich zählt die Portierung für die Modelle der Last-Gen zu den wenigen wirklich gelungenen der letzten Zeit und erreicht eine Qualität, die sonst allenfalls bei Exklusivtiteln von Sony und | oder Microsoft erwartbar wäre. Auf PlayStation 4 läuft Dead Island 2 in nativem 1080p (900p auf XBOX One) und maximal 30 Bildern pro Sekunde, die über weite Strecken sogar stabil gehalten werden. Lediglich wenn sehr viele Gegner oder Effekte mit im Spiel sind, kann es zu kleinen, aber nicht wirklich störenden Einbrüchen kommen. Dafür muss man hier aber mit teils ordentlichen Ladezeiten rechnen und auch bei Texturqualität, Schattendarstellung, Beleuchtung und Effektdichte muss man sich auf einige Abstriche einstellen. Insgesamt sieht das Spiel aber immer noch gut aus und da ein kostenloses Upgrade auf beiden Plattformen angeboten wird, ist man damit bis zum Umstieg auf die Current-Gen gut bedient.
Auf PlayStation 5 und XBOX Series X|S erstrahlt das Spiel aber erst in seiner wahren Pracht. Bei überwiegend butterweichen 60 Bildern pro Sekunde – sogar auf der XBOX Series S profitiert Dead Island 2 dort von der zusätzlichen Rechenpower und löst nicht nur bis zu maximal 4K auf, sondern lädt auch sehr viel zügiger durch. Ohne die zahlreichen visuellen Limitierungen der Last-Gen sieht das Spiel hier eine ganze Ecke schmucker aus, bessere Kantenglättung gibt es obendrauf. Raytracing wird dagegen auf keiner Plattform supported, selbst auf der grafisch noch einen Ticken besseren PC-Version. Wer dort keine Kompromisse in Sachen Leistung und Qualität eingehen will und auch das Spielen in nativem 4K anpeilt, sollte aber über entsprechend starke Hardware verfügen, eine durchgehend flüssige Performance erhält man hier erst mit Grafikkarten der neuesten Generation. Alle anderen müssen aber nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, denn dank umfangreicher Optionen zum Feintuning lässt sich Dead Island 2 dort auch für Mittelklassehardware wunderbar anpassen.
Lob muss man auch den englischen Sprechern zollen, die in ihren Rollen allesamt herrlich aufgehen und bei den Aufnahmen hörbar Spaß gehabt haben. Dazu gibt es sauber lokalisierte deutsche Untertitel. Die restliche Soundkulisse muss sich dahinter nicht verstecken, denn sowohl die knurrenden Zombiegeräusche können überzeugen, sondern auch die wuchtig wiedergegebenen Treffer. Dazu gibt es einen passenden, sehr atmosphärischen Soundtrack. Wer das nicht nur hören, sondern auch fühlen will, muss bei der Bedienung zwangsweise zum DualSense greifen, dessen haptisches Feedback von den Machern sinnvoll ausgenutzt wird. Aber auch die Bedienung via Maus und Tastatur ist sehr intuitiv, wobei natürlich alle gängigen Gamepads problemlos Unterstützung finden.
„Lust auf eine Reise ins sonnige Kalifornien, aber das Budget ist gerade knapp? Dann auf nach HELL-A, wo Sonne, Strand und Meer auf Basis realer Schauplätze schon auf euch warten…ach, und Zombies gibt es da auch noch. Viele Zombies. Unmengen von Zombies. Also ran an die Werkbank, denn wer hier inmitten von Beißern und schrägen Charakteren überleben will, muss nicht nur kreativ sein, sondern auch keine Angst vor Konfrontationen auf nächster Nähe haben. Nach neun Jahren Arbeit und vielen Problemen haben Dambuster Studios mit Dead Island 2 zwar keine revolutionäre, dafür aber eine technisch überwiegend saubere und kurzweilige Splatterorgie abgeliefert, die sowohl alleine als auch im Koop gut unterhält – und das sogar auf den altersschwachen Plattformen der Last-Gen! Manches hätte man besser machen können, für die Zensuren der deutschen Version können die Macher nichts. Trotzdem werde ich meinen Urlaub im von Untoten verseuchten Los Angeles in guter Erinnerung behalten.“
- Detailverliebte Areale nach realen Vorbildern
- Sehr ansehnliche Licht- und Partikelkulisse
- Gut gestaltete Charakter- und Gegnermodelle
- Geniales F.L.E.S.H.-System
- Guter Humor
- Angenehm schräge Charaktere
- Sechs Helden mit einzigartigen Attributen und Fähigkeiten…
- …daher solider Wiederspielwert
- Solide Gesamtspielzeit
- Angemessene Anzahl an Nebentätigkeiten
- Spielerisch gelungener Mix aus Draufhauen und Nachdenken
- Motivierende, angenehm umfangreiche Herstellungskomponente
- Brachiale Kämpfe, besonders auf kurze Distanz
- Überwiegend gutes Balancing
- Solide Koop-Komponente
- Gute englische Sprecher…
- …und sauber lokalisierte Texte
- Zugängliche Bedienung über sämtliche Plattformen
- Handlung im Kern schon x-fach erzählt
- Teils belanglos strukturierte Haupt- und Nebenmissionen
- Erzählerisch fast ohne nennenswerte Höhepunkte
- Veraltetes Kartensystem…
- …welches zu wenige offensive Skills offeriert
- Schwierigkeit nicht anpassbar
- Langweilige Bosskämpfe
- Dani gegenwärtig etwas zu stark
- Deutsche Version leicht zensiert
- Ohne New Game+ eher geringer Wiederspielwert
Entsprechende Rezensionsmuster sind uns freundlicherweise vorab von Deep Silver zur Verfügung gestellt worden.
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