Bereits sechs Jahre ist es nun her, seit wir mit Mittelerde: Schatten des Krieges zuletzt spielerische Kost auf Basis der Erzählungen des legendären J.R.R. Tolkien serviert bekamen. Nachschub kommt jetzt ausgerechnet aus Deutschland, nämlich von Daedalic Entertainment. Die Hamburger Spieleschmiede hat sich mit Adventures wie Deponia auch über die Landesgrenzen hinaus einen hervorragenden Ruf erarbeitet und will mit The Lord of the Rings: Gollum nun die Geschichte einer der wohl tragischsten Charaktere der ursprünglichen Saga näher in den Vordergrund rücken. Was erzählerisch einige gute Ansätze verspricht, scheitert aber spätestens bei der spielerischen und visuellen Umsetzung auf ganzer Linie.
Geteilte Begierde
Einst gelangte der Halbling Sméagol durch Mord an den Ring der Macht – jenes verhängnisvolle Kleinod aus dem Besitz des dunklen Herrschers Sauron, in dem die Seele des Oberschurken auch nach dessen scheinbarem Niedergang weiterlebt. Über Jahrhunderte verdarb der Ring gleichermaßen Geist und Körper seines unglücklichen Besitzers, bis nur noch eine gebrochene Kreatur mit gespaltener Persönlichkeit zurückblieb. Knappe sechzig Jahre, nachdem Gollum den Ring an den Hobbit Bilbo verloren hat, verzehrt sich das Wesen noch immer nach seinem „Schatz“ und beschließt, sich die sinistre Kostbarkeit um jeden Preis zurückzuholen. Was seitdem bis zur ersten Begegnung mit Frodo und Sam sowie den darauffolgenden Ereignissen in der Schlacht um Mittelerde passiert ist, wurde von Tolkien nie gänzlich konkretisiert. Eine Grauzone, die sich auf dem Papier nahezu perfekt für eine Interpretation in Form eines Videospiels eignet.
Wir wissen, dass sich Gollum auf seiner Reise zweimal in Gefangenschaft befunden hat, nämlich einmal in Saurons Herrschaftssitz Barad-dûr und später bei den Elben im Düsterwald. Beide Ereignisse haben die Macher als Ausgangspunkt für ihre Geschichte gewählt, die leider über die gesamte Dauer von circa zehn bis dreizehn Stunden ziemlich kläglich vor sich hindümpelt und mit Ausnahme des durchaus nicht uninteressanten Antagonisten Candleman keinerlei nennenswerte Highlights zu bieten hat. Gefühlt spielen sich sämtliche Ereignisse am äußersten Rand von Mittelerde ab. Ob daran mangelnder Einfallsreichtum oder die strengen Lizenzbestimmungen verantwortlich sind, möchte ich unkommentiert im Raum stehen lassen. Aber selbst ohne Aragorn, Frodo und Co. wäre in einer derart facettenreichen Welt wie dieser viel Potenzial für spannende Geschichten vorhanden. Dass man bei der Umsetzung angeblich eng mit anerkannten Tolkien-Experten zusammengearbeitet hat, spiegelt sich in der Umsetzung nicht wahrnehmbar wieder.
Über große Teile beschränkt sich das Spiel lediglich auf den Düsterwald und Mordor als Schauplätze, ehe es dann zum Finale in die Minen von Moria geht. Dementsprechend eintönig und finster präsentieren sich die Umgebungen über weite Strecken. Abwechslung wird hier leider ganz klein geschrieben, die unzähligen Höhlenareale langweilen einen schnell. Der einzige Lichtblick ist hier die Hauptfigur, deren Persönlichkeit mit großer Sorgfalt umgesetzt worden ist – Vertonung inklusive. Kein Andy Serkis, der in seiner Darstellung der ikonischen Figur wohl auf ewig unerreicht bleiben wird, aber tatsächlich nah dran. Über den Look kann man streiten, meinen Geschmack haben die Entwickler jedenfalls nicht getroffen. Das ist aber kein direkter Vorwurf, denn wenn man die Filme so oft gesehen hat wie ich, hat sich der Charakter einfach derart fest in den Kopf gebrannt, dass man ihn sich anders einfach nicht mehr vorstellen kann.
Reif für den Schicksalsberg
Und wenn wir schon beim Thema „Ende“ sind: Gerne hätten wir euch einen spoilerfreien Einblick in den Ausgang der Geschichte gegeben, wenn es uns denn möglich gewesen wäre, dieses zu erreichen. Denn The Lord of the Rings: Gollum ist zumindest auf PlayStation 5 derart fehlerverseucht, dass man sich fragen muss, wie dreist ein Unternehmen sein kann, ein offensichtlich derart kaputtes Spiel zum Vollpreis auf die Konsumenten loszulassen. Abstürze am Fließband, wiederkehrende Gamebreaker, dramatische Aussetzer bei K.I., Physik und Animationen…die Liste an Problemen ist so lang, dass ich einen eigenen Artikel damit füllen könnte. Aber selbst, wenn all diese Ärgernisse nicht vorhanden wären, hätten wir es hier nicht mit einem guten Spiel zu tun – alleine deswegen, weil der Titel schon beim Gameplay komplett versagt. Gollum ist seit jeher eine Figur gewesen, die eher im Schatten agiert und lieber auf Hinterlist und Lautlosigkeit setzt, als auf offenen Kampf – zumal wir gegen bullige Orks und gut gepanzerte Elben dabei sowieso keine Chance hätten.
Zwar können wir manche Gegner von hinten attackieren und damit ausschalten, aus der Deckung heraus mit Steinwürfen für kurzzeitige Ablenkung zu sorgen, ist aber wesentlich effektiver. Nicht nur, weil die Gegner ohnehin allesamt strunzdumm agieren und einfach stur ihren vorgegebenen Patrouillenrouten folgen, sondern auch, weil das lautlose Ausschalten viel zu lange dauert und mechanisch viel zu umständlich umgesetzt wurde. Und auch die Schleich- und Kletterpassagen beginnt man spätestens dann zu hassen, wenn einen entweder die klobige Kamera oder die unpräzise Bedienung wieder mal in den nächsten Abgrund befördert. Weil nicht alle Checkpoints gut gesetzt worden sind, kann das schonmal bedeuten, dass man bis zum nächsten Versuch erstmal ein gutes Stück des bisher zurückgelegten Weges wiederholen muss. Die oftmals nicht vom Spiel registrierten Kletterpunkte haben mit weitem Abstand mehr Frustration erzeugt als alles andere. In Zeiten, wo ein Uncharted schnörkelloses Manövrieren an Feldwänden ermöglicht und A Plague Tale mit ganz viel Facettenreichtum beim Schleichen aufwartet, fühlt sich The Lords of the Rings: Gollum mit seinen oberflächlichen und trotzdem kaum funktionsfähigen Mechaniken hoffnungslos veraltet an.
Das einzige, was ich halbwegs positiv bewerten kann, sind die gelegentlich auftretenden Situationen, wo wir uns entscheiden müssen, ob wir der bösartigen Persönlichkeit des Gollum, oder dem letzten bisschen Güte in Form von Sméagol die Oberhand überlassen möchten. Solche Situationen enden dann in einer Art imaginärem Streitgespräch, in dem der Spieler die Argumentation zwischen den beiden in die bevorzugte Richtung lenken möchten. Der Ausgang kann über Leben und Tod anderer Charaktere entscheiden und beeinflusst auch, wie diese sich euch gegenüber verhalten. Einen gewichtigen Einfluss auf das Ende scheinen diese Entscheidungen aber keine Auswirkungen zu haben. Ich meine, vielleicht. Momentan scheint das aufgrund der Tatsache, dass man das Spiel nicht abschließen kann, nicht ganz klar zu sein. Aber selbst wenn dem so wäre: Angesichts des horrenden Allgemeinzustands wird wohl gegenwärtig niemand einen zweiten Durchgang wagen wollen.
Technik aus dem ersten Zeitalter
Obwohl viele Entwickler ihre zukünftigen Projekte bereits auf Basis der Unreal Engine 5 produzieren, zeigt deren Vorgänger immer noch regelmäßig hervorragende Ergebnisse. Dem ist hier allerdings nicht so, denn The Lord of the Rings: Gollum zählt für mich zu den mit Abstand hässlichsten Titeln, die ich seit Jahren gesehen habe. Selbst auf den aktuellen Konsolen wirkt die Grafik so, als hätten wir es hier mit einem Spiel aus der frühen Ära der PlayStation 3 bzw. XBOX 360 zu tun. Die Texturen sind überwiegend detailarm und verwaschen, die Animationen hakelig und auch in Sachen Beleuchtung und Partikeleffekte hat man vor Jahren schon Schöneres gesehen. Nur ganz selten wird einem ein halbwegs tolles Panorama geboten, dann kommt auch mal ein bisschen Mittelerde-Feeling auf. Solche Momente gibt es aber einfach viel zu wenige. Die visuellen Unterschiede zwischen Grafik- und Leistungsmodus sind verschwindend gering, auch die zusätzliche Option für einen Grafikmodus mit Raytracing haben im Ergebnis eher enttäuscht, zumal sich die Qualitätsmodi im Allgemeinen als sehr absturzanfällig entpuppt haben. Deshalb ist man mit dem Leistungsmodus gegenwärtig deutlich besser bedient, der weitaus stabiler performt und gleichzeitig doppelte Bildraten offeriert, auf die man im Jahr 2023 ohnehin nicht mehr verzichten möchte.
Ich bin ausnahmsweise ganz froh, dass ich das Spiel nur auf einer Plattform testen musste. Denn nach allem, was man aus den Ecken von PC-, XBOX- und Switchspielern hört, hat man es dort mit mindestens ebenso katastrophalen Fassungen zu tun, wobei die PC-Version horrende Hardware erfordert, die dem Gebotenen absolut nicht angemessen ist und selbst dann hält sich die Performance in Grenzen. Immerhin: Der Soundtrack versprüht zumeist eine gute atmosphärische Untermalung. Das ist aber bei allem Negativen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, der schneller verpufft als die Beliebtheitswerte der Grünen. Die Entwickler haben sich mit diesem Projekt offensichtlich massiv übernommen. Die Frage, die ich mir stelle ist: Hätte ich mit dem Spiel mehr Spaß gehabt, wenn es fehlerfrei wäre? Nein, wahrscheinlich nicht. Denn die Geschichte von Gollum ist eigentlich keine, die zwangsläufig mehr Klarheit benötigt. Ich hoffe wirklich, dass Daedalic den sich anbahnenden Megaflop irgendwie überstehen und irgendwann – auch ohne Poki – wieder zu seiner Kernkompetenz zurückfindet, nämlich grandiosen Adventures, die man auch nach Jahren noch gerne zitiert.
„Schon bei der Enthüllung von The Lords of the Rings: Gollum vor ein paar Jahren war klar, dass man hier wohl kaum mit einem Blockbuster auf Basis der Mittelerde-Lizenz rechnen kann. Nun ist aus Vermutungen traurige Gewissheit geworden. Mehr noch: Was Daedalic Entertainment, die für einige der wohl besten Adventures der jüngeren Videospielgeschichte verantwortlich sind, hier abgeliefert haben, kann man nur als einzige Katastrophe bezeichnen. Eine belanglose Geschichte, völlig veraltete und abwechslungsarme Mechaniken, dazu lausige Grafiken sowie unzählige Bugs teils schwerster Natur ruinieren auch die letzten Hoffnungen auf ein wenigstens halbwegs brauchbares Abenteuer pünktlich zum aufkommenden Sommerloch. Die Zeit, die man für einen Durchgang benötigt, kann man sehr viel sinnvoller mit einer erneuten Sichtung der Filme oder Bücher verbringen. Von diesem Gollum hier sollte man dagegen tunlichst die Finger lassen.“
- Mittelerde-Atmosphäre blitzt ab und an durch
- Unterhaltsame Streitgespräche zwischen Gollum und Sméagol
- Nicht uninteressanter Bösewicht
- Gute deutsche Sprecher
- Brauchbare musikalische Untermalung
- Bis an die Grenze der Unspielbarkeit von Fehlern zerfressen
- Extrem absturzanfällig
- Grafisch weitestgehend völlig veraltet
- Abwechslungsarme Areale
- Überschaubare Gegnervielfalt
- Sehr lineares Gameplay
- Belanglose Geschichte, welche der Vorlage zu jeder Zeit unwürdig ist
- Kaum interessante Nebencharaktere
- Mit knapp zehn Stunden Spielzeit relativ kurz
- Persönlichkeitsentscheidungen haben nur sehr geringe Auswirkungen auf den Spielverlauf
- Furchtbar frustanfällige Klettermechaniken
- Nervige Eskortabschnitte
- Häufige Kameraaussetzer
- Repetive Schleichmechaniken
- Strohdumme K.I.
- Lautloses Ausschalten quasi nutzlos
- Teils schlecht gesetzte Checkpoints
- Sindarin-Sprache nur als kostenpflichtiger DLC oder als Teil der Precious Edition
Entsprechende Rezensionsmuster sind uns freundlicherweise vorab von Electronic Arts zur Verfügung gestellt worden.
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