Einst war Need for Speed Pflichtprogramm für Rennspielfans, mittlerweile dümpelt die traditionsreiche Reihe im Fahrwasser weitaus besserer Genrevertreter wie Forza Horizon nur noch vor sich hin. Die letzten drei Ableger waren allerhöchstens Mittelmaß. Electronic Arts scheint jedoch nicht gewillt zu sein, das Franchise kampflos aufzugeben und hat die Verantwortung dafür nun in die Hände von Criterion Games gelegt. Mit Need for Speed: Unbound wollen die Burnout-Macher zu alten Tugenden eines Need for Speed: Underground zurückkehren. Ob das gelungen ist, klärt unser Test für PC und aktuelle Konsolen.
Die Straße kennt keine Freundschaft
Als Streetkid hat man es nicht leicht, besonders wenn man wie unser namenloser Protagonist ohne Eltern aufgewachsen ist und sich einen Großteil seines noch jungen Lebens hauptsächlich mit der Jugendfürsorge herumplagen musste. In der Obhut von Mechaniker Rydell haben wir erstmals sowas wie Familienzugehörigkeit erfahren und gleichzeitig alles Wissenswerte über Autos gelernt. Kein Wunder also, dass wir genau wie unsere ebenfalls von der Straße stammenden Schwester Yaz ganz heiß darauf sind, in der quicklebendigen Untergrundrennszene von Lakeview mitzumischen. Die urbane Großstadt inklusive Umland bietet alles, um angehenden Stars der illegalen Fahrgemeinschaft bei Tag und Nacht mit immer neuen Herausforderungen zu versorgen.
Doch gerade, nachdem wir mit dem mühsam restaurierten Familiengefährt erste Erfolge eingefahren haben und sich das Konto langsam mit Dollars zu füllen beginnt, fällt uns Yaz in den Rücken und macht sich mit sämtlichen Wagen der Werkstatt aus dem Staub – inklusive unserem eigenen fahrbaren Untersatz. Zwei Jahre später sinnen wir immer noch auf Rache gegenüber der verräterischen Schwester, die in der Szene mittlerweile zur Berühmtheit aufgestiegen ist. Das anstehende Turnier, bei dem nur die Besten der Besten eine Chance auf das satte Preisgeld haben, bietet dafür eigentlich die ideale Gelegenheit – wären wir nur nicht chronisch knapp bei Kasse. Mit der finanzstarken Tess, die gerade auf der Suche nach einem neuen Fahrer ist und der Mithilfe von Ziehvater Rydell bleiben uns gerade einmal sieben Wochen Zeit, um genug Geld für einen konkurrenzfähigen Wagen zusammenzukratzen und Yaz im Turnierfinale Staub fressen zu lassen…
Auch Need for Speed: Unbound ist nicht auf erzählerische Innovation innerhalb der Geschichte aus. Das klassische Verrat-und-Rache-Prinzip ist längst ein alter Hut, bietet in der Praxis aber allemal mehr Unterhaltungswert als die grausam inszenierten Karrieren der drei Vorgänger aus dem Hause Ghost Games, die seinerzeit unter anderem mit grenzdebil inszenierten Realfilmsequenzen für Spott und Gelächter gesorgt haben. Weil sich die Story dagegen hier nie bierernst nimmt und sich dank des comicartigen Artdesigns auch im Rahmen der zahlreichen Zwischensequenzen nie so anfühlt, lässt sich die Geschichte durchaus gut ertragen – obwohl man hier gefühlt jede nur vorstellbare Gattung Hipster in den Charaktertopf geworfen hat, von denen manche wohl ohne die Fähigkeit geboren worden sind, wenigstens einen einzigen Satz ohne das Wort “Bro” auszusprechen.
Tag und Nacht im Einsatz
Im Vordergrund des Spiels steht aber glücklicherweise nicht das schrille Ensemble, sondern die Action auf der Straße. Einhundertneunundvierzig Rennboliden – unter anderem von Mazda, Mercedes, Porsche und vielen mehr – warten beim Autohändler darauf, sich im Wettstreit mit der Untergrundelite der Stadt messen zu dürfen. Weil die Premiummodelle aber zu Beginn jedwedes Budget übersteigen, müssen wir beim geplanten Eroberungsfeldzug der Straßen von Lakeview aber zunächst kleine Brötchen backen. Dank verschiedener Qualitätsstufen erhaltet ihr zumindest vor den Events immer einen guten Indikator dafür, ob eurer gegenwärtiges Gefährt bei den anstehenden Straßenrennen, Kopf-an-Kopf-Duellen, Driftwettbewerben und Co. überhaupt konkurrenzfähig ist. Vier große Qualifikationen müsst ihr innerhalb des Turniers gewinnen, um die Geschichte voranzutreiben. Was ihr abseits davon machen wollt, um die Taschen zu füllen, bleibt ganz und gar euch überlassen. An Gelegenheiten und Abwechslung mangelt es jedenfalls nicht.
Gefahren wird dabei nicht nur bei Nacht, sondern auch tagsüber tummeln sich in Lakeview allerlei Raser auf der Suche nach einer ordentlichen Adrenalinspritze. Das ruft natürlich regelmäßig die strengen Ordnungshüter auf den Plan, die ihren Schutzauftrag nach Einbruch der Dunkelheit besonders ernst nehmen. Wie aggressiv euch die Cops beharken, entscheidet euer gegenwärtiges Heat-Level: Auf der ersten Stufe werdet ihr noch größtenteils ignoriert und falls es doch mal eskaliert, lassen sich die Streifenwagen relativ leicht abhängen. Wer allerdings zu viel Chaos anrichtet, bekommt es schnell wesentlich zahlreicheren und gleichzeitig auch aggressiveren Einsatzverbänden zu tun, die im Worst Case sogar Rammwagen anfordern, um euch gewaltsam zum Stillstand zu bringen. Sollten dann wirklich die Handschellen klicken, landet ihr zwar am nächsten Tag wieder auf der Straße, verliert dafür aber sämtliche Kohle, die ihr seit Tagesbeginn verdient habt.
Deshalb empfiehlt es sich, die Polizei nicht zu sehr zu provozieren und sich bei zu hohem Heat-Level lieber in eines der vielen Verstecke zurückzuziehen, um dort einen neuen Tag zu beginnen – dadurch wird euer Verdienst nicht nur gesichert, auch das Fahndungslevel wird zurückgesetzt. Die besonders gewinnträchtigen Events werden von den Blaulichtaposteln übrigens besonders eifrig überwacht, entsprechend schnell füllen sich dort die Heat-Leisten. Und weil die Cops auch nach dem Überqueren der Ziellinie nicht zum Schreiben von Strafzetteln zurückkehren, sondern euch konstant weiter im Nacken sitzen, kann die Flucht zum nächsten Unterschlupf schonmal nervenaufreibender sein als das eigentliche Rennen. Gerade am Anfang schmerzt auch der Verlust kleinerer Summen immens, denn schon die ersten Upgrades für euer Auto sind ziemlich teuer. Wer dann auch noch in ein cooles Outfit für seinen im Editor erstellten Charakter investieren will, dürfte schnell ohne Reserven dastehen, denn auch die vielen lizensierten Klamottenhersteller verlangen für ihre Produkte harte Währung.
It´s a long way to the top…
Es ist schon gemein: Da gewinnen wir in den ersten Rennen eine Prämie nach der anderen, nur um nach dem knapp einstündigen Prolog feststellen zu müssen, dass es mit unserer neuen Einsteigerkarre allenfalls für das Mittelfeld reicht. Need for Speed: Unbound will, dass man sich Erfolg auch auf einfacheren Schwierigkeitsstufen verdient, Kleinstbeträge hortet und sich dann ganz langsam den Weg an die Spitze erarbeitet. Bis ihr euch in der Werkstatt erstmals dem gleichermaßen umfangreichen wie zugänglich gestalteten Tuning widmen dürft, fahrt ihr den Erstplatzierten in der Regel hoffnungslos hinterher.
Das fühlt sich aber gar nicht frustrierend an, sondern viel eher motivierend. Wenn ihr nämlich nach den ersten Verbesserungen oder gar einem frischen Autokauf bereits absolvierte Events wiederholt, um den Gegnern dieses Mal richtig die Leviten zu lesen, ist das verdammt befriedigend. Weil die Rennboliden aber auf verschiedene Klassen aufgeteilt sind und sich Sprinter beispielsweise nicht für Driftrennen eignen, müsst ihr zwangläufig mehrere Wagen in euren Besitz bringen – und diese natürlich auch allesamt wettbewerbsfähig machen. Mit der Zeit könnt ihr euch so einen ordentlichen Fuhrpark auf die Beine stellen, habt ihr die ersten schwierigen Spielstunden hinter euch gebracht, fließt das Geld zudem sehr viel großzügiger. Wer sich zusätzlich ein paar Scheine verdienen und gleichzeitig noch ein paar neue Fahrzeuge beim Händler freischalten will, kann sich an einer der zahlreichen Eskort- und Transportmissionen versuchen.
Derart umfangreiches Tuning wie es beispielsweise ein Gran Turismo 7 anbietet, dürft ihr hier natürlich nicht erwarten, für einen Arcaderacer kann sich das Arsenal an Zubehör, Bodykits und Lackierungen aber absolut sehenlassen. Selbsterstellte Designs lassen sich zudem kostenlos mit der Community teilen. Und wem die an Rocket League erinnernden Effektgelage im Comiclook nicht zusagen, kann diese im Menü auch einfach deaktivieren. Mich persönlich haben die nie gestört, im Gegenteil. Aber da gehen die Meinungen ja ebenso wie beim sehr beatlastigen Soundtrack stark auseinander. Seit wann ist es bitte nicht mehr cool, beim Rennen saftigen Metal auf die Ohren zu bekommen? Ganz genau. Ihr versteht mich. Ich weiß es. Abseits vom Geschehen der Story darf selbstverständlich auch die Mehrspielerkomponente nicht unerwähnt bleiben, wo ihr euch mit Fahrern aus aller Welt um die beste Platzierung auf der Rangliste streiten dürft. Leider sind beide Modi streng voneinander getrennt worden, weshalb es dort einmal mehr heißt: Alles auf Anfang. Dafür entschädigen die Macher euch mit einem Crossplay-Feature – PC, XBOX und PlayStation dürfen also gemeinsam auf die Strecken.
Auf den Straßen von Lakeview zu fahren, macht übrigens eine Menge Spaß. Und das liegt nicht nur daran, dass ihr überall Collectibles einsammeln und dadurch manch neues Design freischalten könnt, sondern auch am gelungenen Fahrgefühl. Jedes Fahrzeug fühlt sich spürbar anders im Handling an, der arcadige Charakter bleibt permanent spürbar und die K.I.-gesteuerten Gegner stellen wie die Polizei zu jeder Zeit eine brauchbare Herausforderung dar – und das ganz ohne nerviges Rubberbanding. Ein-zwei Mal bin ich nervigerweise dann doch frech von der Straße abgedrängt worden, dann hätte ich mir ein Rückspulfeature sehr gewünscht. Need for Speed: Unbound erlaubt euch aber lediglich den Neustart eines laufenden Events, und das auch nur zehn Mal pro Tag. Da will wohlüberlegt sein, ob man sich nicht mit einer schlechteren Platzierung zufriedengeben will, oder sein Glück doch lieber während der Rennen erneut auf die Probe stellen möchte.
Ungebundener Fahrspaß, ungebundene Technik?
Dass sich die Frostbite Engine über die Jahre als Allrounder bewiesen hat, die von großen Kriegsschauplätzen bis zum Fußball jeder technischen Herausforderung gewachsen ist, wird hier einmal mehr demonstriert. In Sachen Detailtreue kann es der Fuhrpark zwar nicht mit denen der Konkurrenz aufnehmen, viel fehlt bis dahin aber nicht. Die schicke Beleuchtung und die netten Partikeleffekte (ganz besonders Regen auf Straßen und Karosserie) sorgen dafür, dass sich Lakeview bei Tag und Nacht von seiner besten Seite zeigt – mit Ausnahme einiger nicht ganz so ansehnlicher Umgebungstexturen sowie den potthässlichen Passanten, die sich übrigens nicht überfahren lassen, sondern grundsätzlich im letzten Augenblick zur Seite springen. Schade auch, dass sich die Großstadt nie richtig lebendig anfühlen will, dafür mangelt es einfach an angemessen viel Verkehr auf den Straßen.
Die Macher haben darauf verzichtet, ihr Spiel auch auf Konsolen der letzten Generation zu veröffentlichen, obwohl das mit einigen Kompromissen – besonders in Hinsicht auf die Bildrate – sicher möglich gewesen wäre. Andererseits kann ich diesen Schritt gut nachvollziehen, denn 30 Frames pro Sekunde sind einfach ein Unding bei Rennspielen mit hohem Fokus auf Geschwindigkeit. Und genau dieses Gefühl, mit atemberaubendem Tempo über den Asphalt zu flitzen, hat mir bei der Reihe über die letzten Jahre extrem gefehlt. PlayStation 5 und XBOX Series X lösen in nativem 4K auf und liefern mit grundstabilen 60 Frames pro Sekunde genau die nötige Geschmeidigkeit für kompromisslos guten Rennspaß, die schwächere XBOX Series S muss sich mit 1080p begnügen, schneidet in Sachen Performance aber ebenfalls überraschend gut ab. Die PC-Version ist genauso gut optimiert und offeriert mit ihren zahlreichen Feineinstellungen auch auf Mittelklassehardware noch einen guten Kompromiss aus Leistung und Qualität. Auf ein richtiges Schadensmodell muss man dagegen abermals ebenso verzichten wie auf eine Innenansicht.
Dass es dann ausgerechnet beim Sound hapert, hat mich gerade bei einem Spiel aus dem Hause Criterion Games dann aber abschließend doch sehr verwundert. Während die Autos in der Garage noch kraftvolle Motorengeräusche von sich geben, klingen die Karossen im laufenden Betrieb plötzlich richtig gezähmt. Da muss auf jeden Fall nochmal nachgebessert werden. Mit den auf hip getrimmten Sprechern muss man sich arrangieren, viel besser klingen die im englischen Original aber auch nicht. Die Bedienung geht grundsätzlich prima von der Hand und wurde quasi anstandslos aus dem direkten Vorgänger übernommen, was völlig in Ordnung ist. Ein Gamepad ist jedoch auch am PC Grundvoraussetzung für ein bestmögliches Spielerlebnis, denn mit Maus und Tastatur mangelt es an allen Ecken an der nötigen Präzision, um es frustfrei als erster ins Ziel zu schaffen. Leider bleibt der DualSense hier deutlich hinter seinen Möglichkeiten zurück und bietet allenfalls rudimentäres Feedback, dass sich auch nicht viel besser anfühlt als die Vibrationsfunktion des XBOX Controllers.
“Wer hätte ahnen können, dass Need for Speed nach all den Jahren doch nochmal zur Hochform auflaufen könnte? Nachdem Ghost Games die Reihe mit lächerlich schlechter Inszenierung und nervigem Ruhmsystem komplett gegen die Wand gefahren haben, lag es nun an den Genreprofis bei Criterion Games, das Ruder wieder rumzureißen und die Reihe zur alten Größe zurückzuführen. Und das ist ihnen mit Need for Speed: Unbound auch überwiegend sehr gut gelungen. Die Story mag trashig sein, nimmt sich aber auch nicht zu ernst. Die Polizei kann einem auf höheren Stufen ordentlich die Hölle heiß machen und das gute Handling der Autos sorgt in Kombination mit dem lange vermissten Hochgeschwindigkeitsgefühl und vielen Tuningoptionen dafür, dass sich auch alteingesessene Fans von Underground und Co. schnell in Lakeview wohlfühlen werden. Zwar kann das Spiel grafisch nicht mit Konkurrenten wie Forza Horizon 4 mithalten, hässlich ist aber definitiv etwas ganz anderes. Abseits mancher kleinerer Kritikpunkte ist die Reihe aber endlich wieder auf Kurs. Hoffentlich geht es so weiter!”
- Brauchbares Großstadtsetting
- Story nicht neu, aber ordentlich umgesetzt
- Schöne Licht- und Effektkulisse
- Mutiges, aber in der Praxis extrem funktionelles Artdesign
- Facettenreicher, voll lizensierter Fuhrpark
- Angenehm umfangreiches Tuning
- Durchgehend gutes Fahrgefühl
- Fahrzeuge händeln sich allesamt ganz unterschiedlich
- Abwechslungsreiche Events
- Zahlreiche, unaufdringliche Nebentätigkeiten
- Gute fünfzehn bis zwanzig Stunden Spielzeit
- Faire Polizei- und Fahrer-K.I.
- Drei Schwierigkeitsgrade
- Zugängliche Bedienung via Gamepad
- Umfangreicher Fotomodus
- Funktionelles Crossplay
- Hässliche Passanten
- Lakeview wirkt teilweise arg verkehrsbefreit
- Stellenweise schwache Texturen
- Freigeschaltete Fahrzeuge lassen sich nicht in den Mehrspielermodus übertragen
- Überraschend schwache Motorensounds
- Keine Innenansicht
- Mittelmäßige Sprecher
- Eintöniger Soundtrack
- Unpräzise Bedienung mit Maus und Tastatur
- DualSense bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück
Entsprechende Rezensionsmuster sind uns freundlicherweise vorab von Electronic Arts zur Verfügung gestellt worden.
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