Life is Strange™ – Before the Storm (Episode 1): „Rückkehr nach Arcadia Bay“

                                               Getestet und verfasst von General M

Zwei Jahre mache ich diese Arbeit nun schon. In diesen zwei Jahren habe ich weit über 150 Testberichte verfasst, ein Ende ist gewiss nicht in Sicht. Ich erinnere mich recht gut an jedes jemals getestete Spiel, ebenso an jede jemals vergebene Wertung. Und in dieser Zeit hat mich wohl kaum ein Spiel dermaßen begeistert, wie „Life is Strange“ es getan hat. Nicht umsonst ist die erste Season mit 94% gleichzeitig das von mir am bisher höchsten bewertete Spiel. 94%, das ist nahe an der Perfektion. Etwas, das Videospiele heutzutage nur noch ganz selten erreichen und wenn, dann gelingt es alle zehn Jahre vielleicht einmal. Umso mehr Vorfreude verspürte ich bei der Ankündigung eines drei Episoden umfassenden Prequels, welches die Vorgeschichte um die Freundschaft von Chloe Price und Rachel Amber vertiefen sollte, die Zeit, ehe Max Caulfield nach Arcadia Bay zurückgekehrt ist und mit ihr der Sturm, der das Leben aller Bewohner verändern sollte. 

Hinweis: Wie immer bei Episodentiteln erfolgt die Bewertung inklusive Pro und Contra erst mit dem Erscheinen der abschließenden Episode. 

Gegensätze ziehen sich an

Die erste Episode trägt den Titel „Erwacht“ und präsentiert uns eine etwas andere Chloe, als jene, welche Max später nach Jahren der Funkstille begegnen wird. Schauplatz ist natürlich noch immer das etwas verschlafene Fischernest Arcadia Bay in Oregon, USA. Chloe verlor ihren Vater bei einem Autounfall, ein Verlust, der sie tief geprägt hat und welchen sie noch nicht überwinden konnte. Aus der ehemaligen Streberin ist eine rebellische Einzelgängerin geworden, die ihre inneren Einsamkeit nach außen mit stoischer Aufmüpfigkeit verdeckt. Sei es gegen David Marsden, den neuen Freund ihrer Mutter, welchen sie mit leidenschaftlicher Respektlosigkeit behandelt, die Blackwell – Akademie, welche ein ums andere Mal blaue Briefe ins Haus schickt oder die einstmals beste Freundin Max, der sie bis heute fühlbar nachtrauert, obgleich sie mindestens ebenso wütend auf sie ist, weil sie den Kontakt seinerzeit einfach abgebrochen hat. Und ohnehin ist Arcadia Bay in ihren Augen ein verschlafenes Drecksnest, welchem sie ohne zu zögern entsagen würde, gäbe es nur eine entsprechende Perspektive. 

Life is Strange Before the Storm 2017 09 05 10 42 21 537
         Chloes Gedanken stecken voller Verbitterung, aber oftmals auch voller Galgenhumor. 

Eben jene Perspektive erscheint plötzlich in Form von Rachel Amber auf der Bildfläche. Die Tochter des Bezirksstaatsanwalts gilt als beliebtestes Mädchen der Schule. Erstklassige Noten und eine anziehende Schönheit inklusive. Auf einem Rockkonzert schließen beide erste Bande, als Chloe durch ihr aggressives Auftreten einen regional bekannten Raufbold samt Kumpel verärgert und nur mit Rachels Hilfe knapp einer Menge Ärger entgeht. Obwohl beide nicht verschiedener sein könnten, passen sie als Gespann dennoch prächtig zusammen. Jeder für sich scheint im Gegenüber ein wenig das zu finden, wonach beide jeweils streben. Die wohlbehütet und priviligiert in Kalifornen aufgewachsene Rachel möchte aus den ihr auferlegten Konventionen ausbrechen, die rebellische Chloe dagegen würde entgegen aller getätigten Aussagen nur zu gerne wieder etwas mehr Normalität in ihrem Leben haben. Der Beginn einer ungleichen und prägenden Freundschaft. 

Alle Zeit der Welt

Zwar ist Chloe nicht im Besitz von Superkräften á la Zeitmanipulation, wie Max sie später besitzen wird, dafür verfügt sie über ein anderes, sehr nützliches Talent: Sie kann sich aus beinahe jeder kritischen Situation herausreden. Dieses Feature kommt über die gesamte Episode immer mal wieder zum Einsatz und besteht darin, innerhalb eines Zeitlimits jeweils die richtige Antwort im Rahmen eines Streitgespräches zu finden, welche den Gesprächspartner vernichtend einschüchtert und ihn so letztendlich zum Nachgeben zwingt. Allerdings eignet sich diese Fähigkeit, wie später im Spiel zu sehen, auch für kleine Gaunereien.

Life is Strange Before the Storm 2017 09 04 18 02 56 254    Mithilfe der richtigen Argumente gilt es, das Ziel vor dem Diskussionspartner zu erreichen. 

Wer die erste Season gespielt hat, wird wissen, das Chloe nicht über Superkräfte verfügt, aber dennoch eine toughe junge Frau ist, die sich durchaus zu behaupten weiß. Diesen Aspekt vertieft das Prequel und verleiht dem Charakter mehr Tiefe und Substanz, zumal die angewandten Beleidigungen oftmals auch sehr humorvoll gestaltet sind. Ohnehin ist die erste Episode für einige Lacher gut. Die Dialoge sind allesamt hervorragend geschrieben, kein Charakter wirkt minderwertig oder verkommt zum bloßen Nebendarsteller. Obwohl das Prequel nicht von DONTNOD entwickelt wurde, sondern von Deck Nine, erreichen die Macher mindestens die selbe erzählerische Qualität der ersten Season, stellenweise gelangen sie sogar über jene Qualität hinaus. Da sich das Prequel darüber hinaus spart, sämtliche Charaktere erneut im Detail einzuführen und stattdessen den Fokus ganz auf Chloe und Rachel zu legen, zahlt sich im Rahmen der doch gewohnt recht kurzen Spielzeit voll aus. Auch das Emotionale kommt ganz sicher nicht zu kurz, den Spieler erwarten Höhen, Tiefen, ebenso Witz und Traurigkeit. Die dichte Erzählstruktur ist packend und reißt einen völlig in seinen Bann, was auch an der wieder mal grandiosen englischen Vertonung samt Soundtrack liegt, die beide nur als makellos beschrieben werden können. Dass die Deutschen Untertitel mitunter an kleineren Lokalisierungsfehlern kränkeln, verzeiht man da gerne. 

Life is Strange Before the Storm 2017 09 05 12 37 04 563
           Der Beginn der ungewöhnlichen Freundschaft wird intensiv und packend erzählt. 

Ferner gelingt den Machern, was Telltale seit Jahren nicht gelingen will: Eine Geschichte zu erzählen, die gerade aufgrund ihrer Langsamkeit und Schwere überzeugt, ohne auch nur ein einziges Mal durch hastige Quicktime – Events oder großen Bombast unterbrochen zu werden. In der ersten Episode steckt mehr Geschichte und Anziehungskraft, als andere im Rahmen einer ganzen Season präsentieren. Auch hat man im Rahmen der jeweiligen Gebiete viel mehr Freiheit, die Welt von Arcadia Bay zu erkunden. So findet man oftmals auch Informationen, die sich in den jeweiligen Dialogen effektiv nutzen lassen. Gleichzeitig auch zahlreiche Gelegenheiten, das ein oder andere Graffiti am Eigentum der Obrigkeit anzubringen. Dabei lassen sich auch zahlreiche Referenzen auf die erste Staffel entdecken. 

Während die erste Episode also inhaltlich absolut überzeugen kann, reißt das technische Gerüst kaum noch vom Hocker. Wie beim Vorgänger kommt auch hier die UNITY – Engine zum Einsatz, auf deren Basis in den letzten Jahren bereits zahlreiche Spiele, besonders aber Adventures aller Art, entwickelt und veröffentlicht wurden. Zwar ist der gewählte Stil noch immer unverkennbar und identifiziert das Spiel somit umgehend als „Life is Strange“, leidet dafür aber auch an Texturarmut, Kantenflimmern und einer grundlegenden Sterilität, die einem bei nativer 4K – Auflösung umso mehr auffällt. Dafür läuft das Spiel ausnahmslos flüssig und lässt aufgrund seines geringen Hardwarehungers auch Besitzer schwächerer Computer nicht im Regen stehen. Ein Lob darf auch der Bedienung ausgesprochen werden, welche mit Gamepad hervorragend funktioniert und mit Maus sowie Tastatur immerhin noch sehr gut bezeichnet werden kann. 

Fazit

ava2„Die Rückkehr nach Arcadia Bay erscheint mir wie ein Familientreffen, zu welchem man sich gerne begibt. Nicht weil es Kaffee und Kuchen gibt, sondern der Menschen wegen. Die erste Episode vom Prequel kann nur als fantastischer Einstieg bezeichnet werden, welche mich von der ersten bis zur letzten Sekunde zu begeistern wusste. Die Charaktere sind hervorragend geschrieben und inszeniert, das Voice Acting absolut brillant. Ferner wird eine Tatsache klar bewiesen: Chloe Price braucht keine Max Caulfield. Sie brilliert auch alleine. Und das auf ganzer Linie. Umso schlimmer ist für mich, dass ich bereits weiß, wie bitter die ganze Sache ausgehen wird. Dennoch: Wenn die kommenden Episoden diese hohe Qualität beibehalten, dann gehört „Before the Storm“ nicht nur zu den besten Adventures in diesem Jahr, sondern auch zu den besten Adventures und Prequels aller Zeiten. Unbedingt antesten!“

Die hier veröffentlichte Meinung stellt lediglich die Meinung des Autors dar und muss nicht zwangsläufig auch die von Wrestling-Point.de, M-Reviews und allen unterstehenden Mitarbeitern sein.

 

©2017 Wrestling-Point.de/M-Reviews