Who you gonna call?
Ein geheimnisvoller Anrufer namens Thomas verspricht unter der Bedingung Antworten, dass sich Marianne persönlich mit ihm in einer längst verlassenen und verwitterten Erholungseinrichtung weit außerhalb der Stadt trifft. Das sogenannte Niwa Ressort stammt noch aus der Zeit, als Polen kommunistischer Teil der Sowietunion war. Nachdem es dort aber zu einem Massaker unter den Gästen kam, erinnert man sich an das einstige Vorzeigeprojekt höchstens noch als Teil urbaner Legenden. An solchen Dingen stört sich ein mit allen Wassern gewaschenes Medium aber natürlich recht wenig. Kurzerhand hüpft Marianne über die Sicherheitsmauern und macht sich inmitten des gewaltigen Betonkolosses auf die Suche nach Thomas. Von dem ist aber vorerst keine Spur zu finden. Stattdessen stellt sich rasch heraus, dass die Mythen um das Massaker keineswegs erfunden sind. Schlimmer noch, die Geister der gewaltsam aus dem Leben gerissenen tummeln sich quasi überall. Und nicht alle sind der Weltenwandlerin freundlich gesinnt. Was als Suche nach der Wahrheit beginnt, entwickelt sich mehr und mehr zum erbarmungslosen Kampf um´s Überleben…
The Medium lebt von seiner spannenden Story, die bis zum nachhallenden Ende immer wieder mit unerwarteten Twists punkten kann, dabei aber stets einem klar definierbaren roten Faden folgt. Auch die konfliktgeplagte Protagonistin trägt viel zum inhaltlichen Gelingen des Spiels bei. Langeweile kommt im Rahmen der knapp sieben- bis achtstündigen Geschichte nie auf, sofern man im Vorfeld weiß, worauf man sich einlässt. Wer hier nämlich schnelles, actionreiches Gameplay erwartet, wird mit großer Wahrscheinlichkeit enttäuscht werden. Stattdessen verschreibt sich der Titel einer konsequenten Langsamkeit und legt seinen Fokus primär auf Erkundung und das Lösen zahlreicher, mit wenigen Ausnahmen angenehm abwechslungsreich sowie nachvollziehbar strukturierter Rätselpassagen. Weil all das aber nach streng linearem Prinzip abläuft und besonders Horroreinlagen – so gelungen, wie sie in dem diesem Fall auch sein mögen – stets dem Prinzip unterliegen, sich bereits nach dem ersten Erleben nahezu vollständig abzunutzen, ist der Wiederspielwert natürlich ziemlich gering.
Zwischen zwei Welten
Um im Niwa Ressort nicht selbst zum Dasein als Geist verdammt zu werden, muss Marianne immer neue Herausforderungen bewältigen. Was mit einfachen Schieberätseln beginnt, entfaltet sich mit zunehmenden Fähigkeiten im weiteren Spielverlauf zu stetig wachsenden Kopfnüssen, die es erfolgreich zu knacken gilt. Dann spielt auch das geschickte Ausnutzen beider Realitäten eine zentrale Rolle. Der Wechsel erfolgt dabei automatisch, muss also nicht speziell vom Spieler getriggert werden. In den ersten Stunden kann sich Marianne nur synchron mit ihrem Geist im Niwa Ressort bewegen, später können wir uns für kurze Zeit komplett von unserem Körper lösen und öffnen somit in der Realität verschlossene Passagen, indem wir beispielsweise Strompanele mit Energie befeuern oder Schlüssel ausfindig machen, die in Fleischeshülle unerreichbar wären. Die Lernkurve ist dabei sehr angenehm geraten. Weil die Areale generell überschaubar gestaltet sind und nie mehr als eine Grundportion Logik verlangt wird, sollten selbst Rätselmuffel auf dem Weg zum Abspann keine großen Probleme bekommen.
Kniffliger sind da schon die gelegentlichen Schleich- und Fluchtpassagen. Vor wem oder was Marianne genau reißaus nehmen muss, wollen wir an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Sehr wohl aber, wie nervig diese Abschnitte sind. Weil die sonst eigentlich gut positionierte statische Kameraführung ausgerechnet hier zu groben Aussetzern neigt und dadurch auch die ohnehin nicht allzu präzise Bedienung noch weiter erschwert wird, geraten diese regelmäßigen Ausflüge in´s Survivalgenre zur lästigen Zerreißprobe für die Nerven. Schon die erste Flucht ließ sich erst nach dem fünften Versuch erfolgreich bewältigen, weil das Medium eine halbe Sekunde zu spät um eine Kurve bog. So viel Kleinlichkeit fühlt sich im Rahmen eines sonst sehr viel verzeihenden und hilfsbereiten Spiel verdammt konträr an und ist dementsprechend in meinen Augen auch die größte Schwäche von The Medium. Davon abgesehen ist die Idee, den Spieler in Echtzeit simultan durch zwei komplett eigenständig gestaltete Welten zu schicken, ein famoser Schritt in die Zukunft einer neuen Generation Hardware, den man aber stellenweise definitiv noch besser hätte ausnutzen können.
Zusätzlich zu der regulären Geschichte, die besonders im Rahmen opulenter Zwischensequenzen ebenfalls immer wieder auf beiden Ebenen vorangetrieben wird, verbergen sich in und um das Niwa Ressort noch eine Menge optionaler Fundstücke, die weitere Auskunft über die Geschichte des Gebäudes und dessen tragischem Schicksal geben. So lassen sich mit wachen Augen alte Dokumente und Zeichnungen finden, gleichzeitig aber auch in Raum und Zeit wiederhallende Gespräche aktivieren. All das braucht ihr zwar nicht, um den erzählerischen Kern von The Medium nachvollziehen zu können, weil die meisten Sammelobjekte aber sowieso unmittelbar auf dem Weg liegen und zusätzliche Informationen ja sowieso nie schaden, sollte man seine Umgebung immer gründlich absuchen. Eine Handvoll Erfolge gibt es zur Belohnung gleich obendrauf. Manchmal muss man sich allerdings auch hier mit etwas unglücklich gesetzten Kameraperspektiven plagen, besonders wenn ein Objekt in Bodennähe uneinsehbarer Ecken platziert worden ist.
Schrecklich schön
The Medium fußt auf der Unreal Engine 4, die sich aufgrund ihrer besonderen Stärke für eindrucksvolle Licht- und Partikeleffekte hier natürlich empfiehlt. Hier aber muss sich das Grafikgerüst einer neuen Herausforderung stellen, nämlich dem simultanen Rendering zwei in Echtzeit abgebildeter Welten mit jeweils komplett eigenem Art Design und verschiedenen Perspektiven. Und nicht zuletzt bedarf es auch entsprechend leistungsfähiger Hardware, um all das überhaupt flüssig darstellen zu können. Anders als einer gewissen anderen Spieleschmiede aus Polen war Bloober Team glücklicherweise von Anfang an klar, dass ein solches Projekt nicht mehr mit der Hardware der letzten Generation umzusetzen ist. Ein zusätzlicher Vertrag mit Microsoft sorgt dafür, dass neben Besitzern leistungsstarker Computer ausschließlich Nutzer einer XBOX Series X|S in den Genuss des Titels kommen. Eine Veröffentlichung für die PlayStation 5 ist dagegen nicht geplant. Das mag für manche ärgerlich sein, erleichtert uns aber zumindest um ein Stückchen der für gewöhnlich umfassenden Vergleichsarbeit.
Wie leistungshungrig The Medium tatsächlich ist, zeigt sich anhand der PC-Version. Selbst mit aktuellsten Komponenten und einer RTX 3080 als Grafikmotor lassen sich selbst bei deaktiviertem Ray Tracing keine 60 Frames pro Sekunde bei nativem 4K und maximalen Settings erreichen. Ein Spiel mit so gemütlichem Pacing braucht das aber auch nicht. Weil das Spiel gleichzeitig immens von seiner gruseligen Atmosphäre definiert wird und abgespeckte Settings dem eher nachteilig wären, empfiehlt es sich ausnahmsweise, Qualität gegenüber Performance zu bevorzugen. Die gut optimierte PC-Version bietet aber für beide Präferenzen ausreichende Konfigurationsmöglichkeiten und hat sich über unseren gesamten Test hinweg als angenehm stabil und fehlerfrei entpuppt. Auf der XBOX Series S muss man nicht nur auf die teils wunderschönen Echtzeitspiegelungen verzichten (stattdessen haben die Entwickler hier eine klassisch-statische Lösung gewählt), auch in Sachen Auflösung müssen entsprechende Nutzer mit Abstrichen leben. Bei dynamischer Skalierung werden maximal 1080p erreicht, besonders bei in beiden Realitäten spielenden Szenen kann die Auflösung ein gutes Stück unter 720p wandern, was erwartungsgemäß in einem extrem matschigen und unruhigen Bild resultiert. Zum Glück stellen solche Fälle eine absolute Ausnahme dar, zumeist pendelt sich das Spiel im mittleren Rahmen um die 900p ein und sieht insgesamt dank gelungener Animationen und detaillierter Umgebungen immer noch sehr gut aus.
Auch die deutlich stärkere Series X nutzt dynamische Skalierung, peilt dabei aber immerhin im Idealfall volles 4K bei gleichzeitig alternativlos aktiviertem Ray Tracing an. Auch hier kann die Qualität bei besonders leistungshungrigen Situationen massiv in den Keller wandern, 900p waren hier der niedrigste von uns erfasste Wert, während der Durchschnitt bei 1440p liegt. Beide Plattformen peilen 30 Frames pro Sekunde an und halten diese mit ganz wenigen Ausnahmen bei Szenenübergängen im Rahmen der Zwischensequenzen konstant. Außerdem laden Texturen häufig spät nach. Weil es gegenwärtig zusätzlich Probleme mit dem Frametiming gibt, kann es immer mal wieder zu kurzen Rucklern kommen. Die Entwickler haben allerdings bereits angekündigt, diese alsbald via Patch zu beheben. Gleiches gilt für einen Bug, der gegenwärtig auf beiden Konsolen für plötzlich auftretende Farbblöcke sorgt. Wenn ihr das erlebt: Keine Sorge, eurer Hardware geht´s gut! Während es bei den Assets keinerlei Unterschiede zwischen den jeweiligen Modellen gibt, liegt das ausschlaggebende Element eindeutig im Ray Tracing. So bildschöne Spiegelungen wie im Screenshot direkt über diesem Absatz gibt´s nämlich nur auf aktuellen PC´s und der Series X. Bedenkt man, wie leistungshungrig das Spiel alleine durch seine zwei Realitäten ist, nötigt es einem schon eine Menge Respekt ab zu sehen, wie mühelos die Series X diese zusätzliche Belastung stemmt. Weil solche Titel gerade prädestiniert zur Leistungserfassung sind, ist es natürlich umso mehr schade, dass die PlayStation 5 nicht mit einer eigenen Version bedacht wird.
Dialoge gibt´s ausschließlich in englischer Sprache. Die ist zwar dank professioneller Sprecher absolut gelungen und kommt mit sauber lokalisierten Untertiteln daher, dennoch hätte gerade ein so narratives Spiel sehr von einer kompletten deutschen Tonspur profitieren können. Für den stimmigen Soundtrack zeichnet sich unter anderem niemand geringeres als Akira Yamaoka aus, der seinerzeit bereits maßgeblich zum Erfolg von Silent Hill beigetragen hat. Das Bedienschema ist grundsätzlich sehr zugänglich, wenn man nicht gerade mit Maus und Tastatur spielen will. Beiden Eingabevarianten liegt aber ein grundlegendes Präzisionsproblem zugrunde und kann in Kombination mit der frustanfälligen Kameraperspektive dafür sorgen, dass Marianne gelegentlich in Türrahmen hängen bleibt oder den just verlassenen Raum prompt erneut betritt, obwohl man immer noch dieselbe Bewegungstaste gedrückt hält. Es ist ja schön, dass Resident Evil und Co. hier und da grüßen. Nur was das angeht, hat man sich dafür echt die schlechtmöglichste Gelegenheit ausgesucht.
Fazit und Wertung
„Wenn das Leben nach dem Tode derart düster und verstörend wie in The Medium aussieht, hat man definitiv gute Gründe, sich vor dem Sterben zu fürchten. Was das kleine Entwicklerteam hier auf die Beine gestellt hat, hinterlässt definitiv einen guten Eindruck. Der spannenden Story und dem Konzept zweier Realitäten stehen allerdings auch einige Schwächen gegenüber, denn besonderes letzteres hätte man abseits der abwechslungsreichen Rätsel inhaltlich noch etwas mehr ausnutzen können. Aufgrund der strengen Linearität mangelt es zudem an Widerspielwert, alleine frustanfälligen Schleich- und Fluchtpassagen schrecken vor einem zweiten Durchgang ab, was nicht zuletzt auch Schwächen bei Kameraführung und Bedienung geschuldet ist. Es bleibt grundsolides, aber nicht herausragendes Gameplay in wunderschön-atmosphärischem Gewand, welches besonders auf XBOX Series X und Hochleistungsrechnern bleibenden Eindruck hinterlässt. Abonnenten des Game Pass dürfen übrigens ohne Aufpreis zocken.“
PRO:
+ Tolle Gruselatmosphäre, auch dank stimmiger Beleuchtung…
+ …und zusätzlichem Mehrwert durch Ray Tracing auf PC´s und XBOX Series X
+ Detailverliebte Umgebungen
+ Von Anfang bis Ende spannende und wendungsreiche Geschichte
+ Interessante Protagonistin mit Substanz
+ Insgesamt gelungen umgesetztes Konzept zweier simultaner Realitäten
+ Abwechslungsreiches Rätseldesign…
+ …mit angenehmer Lernkurve
+ Spieler wird sorgsam in sämtliche Mechaniken eingeführt
+ Atmosphärischer Soundtrack
+ Hervorragende englische Sprecher
+ Sauber lokalisierte Untertitel
+ Intuitives Bedienschema via Gamepad
CONTRA:
– Dual Reality mit mehr Potenzial, als tatsächlich genutzt wird
– Mit acht bis zehn Stunden Umfang relativ kurz
– Streng linear…
– …daher kaum Wiederspielwert
– Konsolenfassungen mit Problemen beim Frametiming…
– …gelegentlich auftretenden Farbartefakten…
– …sowie unschönen Texturnachladern
– Nervige Schleich- und Fluchtpassagen
– Teils frustrierende Aussetzer bei Kamera und Bedienung
– Keine deutsche Vertotung
GESAMTWERTUNG: 8.0/10
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