Ein denkwürdiger Anfang
Die Geschichte von Shenmue beginnt exakt datiert am 29. November 1986 in Japan. Der kampfsportbegeisterte Ryo Hazuki will eigentlich nur seine Eltern besuchen, ist aber nicht der Erste vor Ort. Hilflos muss er zusehen, wie sein Vater im heimischen Dojo vom geheimnisvollen Lan Di, der auf der Suche nach einem scheinbar wertvollen Spiegel ist, ermordet wird. Ryo schwört, den Tod seines Vaters zu rächen und macht sich auf die Suche nach dem Chinesen, die sich auch bis in den zweiten Teil zieht.
Dass es bei allen Aktivitäten auch oft zu Handgemengen kommt, sollte klar sein. Glücklicherweise handelt es sich bei Ryo um einen versierten Kampfsportler, dessen volle Stärke sich aber erst richtig entfaltet, wenn er ein möglichst großes Arsenal von Kampftechniken erlernt hat. Man sollte also gut darauf achten, den Jungspund im Training zu halten und darüber hinaus überall in der Spielwelt nach Gelegenheiten Ausschau halten, das Fertigkeitenrepertoir zu erweitern.
Tempus fugit
Das bedeutet zwingend, dass man gelegentlich auch mal einige Stunden oder sogar Tage warten muss, ehe ein für die Haupthandlung wichtiges Ereignis ausgelöst wird. Anders als in gegenwärtigen Spielen ist es im ersten Shenmue aber nicht möglich, mal eben beliebig viel Zeit zu überspringen. Dieses Feature wurde erst im Nachfolger hinzugefügt. So ist man wenigstens im ersten Teil mehr als gelegentlich dazu gezwungen, sich die freie Zeit zu vertreiben. Da es in der Nachbarschaft aber allerlei Aktivitäten gibt, stellt sich nur ganz selten Leerlauf ein. In den Arkaden lassen sich klassische SEGA – Spiele zocken, Getränkeautomaten bieten Erfrischungen an und Nebenaufgaben lassen sich überall finden. Geld spielt in SHenmue übrigens nur eine untergeordnete Rolle. Zwar bekommt man von der Haushälterin jeden Tag ein wenig Taschengeld hinterlegt, theoretisch kommt man aber auch wunderbar ohne dicke Brieftasche aus und kann sich so bequem anderen Dingen zuwenden. So stößt Ryo gleich zu Beginn auf ein Kind aus der Nachbarschaft, welches sich um eine herrenlose Katze kümmert. Wer sich regelmäßig die Zeit nimmt, nach der Katze zu sehen sie sogar ein wenig umsorgt, wird am Ende womöglich belohnt. Ebenso lassen sich überall zahlreiche Sammelobjekte aufstöbern, darunter auch klassische Musikkassetten, die Zugang zu den einzelnen Stücken des Soundtracks gewähren.
Trotzdem bleibt zwischen all diesen Aktivitäten auch immer mal wieder Zeit übrig. Und darin liegt wohl auch die schwerste Hürde für alle, die den Titel seinerzeit nicht auf der Dreamcast erlebt und entsprechend lieben gelernt haben, sondern erst jetzt mit den aufbereiteten Fassungen erstmals Kontakt zur Reihe finden. Die gelebte Langsamkeit erschafft für diejenigen, die an schnelles und schnökelloses Gameplay moderner Titel gewöhnt sind, ein extrem zähes Pacing, welches ganz sicher nicht Jedermanns Geschmack trifft. Aber genau darin liegt die Intention von Shenmue. Der Spieler soll sich ganz seiner Welt hingeben und sie wie der Charakter selbst in gleichem Tempo Stück für Stück entdecken. Und wer bereit ist, sich auf genau dieses Prinzip einzulassen, erlebt eines der inhaltlich zeitlosesten und bemerkenswertesten Abenteuer der Spielgeschichte, welches nicht zu Unrecht bis heute in seiner Wertung zahlreiche Testlisten anführt. Somit ist Shenmue nicht einfach nur ein Action – Adventure, sondern in Teilen sogar eine richtige Lebenssimulation. Und als solche ganz und gar einzigartig in ihrer Art.
So viel wie nötig, so wenig wie möglich
Shenmue erschien erstmals 1999 für die SEGA Dreamcast, Teil II folge im Herbst 2001 und bekam sogar eine verbesserte Portierung für die XBOX spendiert. Entsprechend gering waren die bisherigen Möglichkeiten also, die beiden Klassiker zu erleben, sofern man nicht beide Systeme funktionsfähig im Schrank aufbewahrt hat. Die Umsetzung der Neuauflagen für PC, PlayStation 4 und XBOX One haben sich dabei für den Entwickler d3t als große Herausforderung herausgestellt. Das Quellmaterial war nicht mehr vollständig verfügbar und nahezu sämtliche Assets, besonders aber die zahlreichen Soundfiles mussten direkt aus der Dreamcast – Version extrahiert werden. Wer um die Besonderheiten des Soundchips der SEGA – Konsole weiß, mag erahnen, dass das Ergebnis dank der extrem starken Komprimierung alles andere als gut ausgefallen ist. So bleibt besonders die Sprachausgabe extrem dumpf. Dafür dürfen auch Spieler im Westen erstmals auch die originale japanische Tonspur des Erstlings anwählen, die in vielerlei Hinsicht für die bessere Atmosphäre sorgt. Passende Untertitel lassen sich natürlich zuschalten. Das große Manko ist aber überall, dass sämtliche Dialoge ausschließlich im Mono – Format ausgegeben werden, was die heutigen Hörgewohnheiten deutlich irritieren und somit auch stören kann. Um dieses Problem zu lösen, hätte man das gesamte Spiel komplett neu vertonen müssen, was für Puristen aber wohl ein dickes Sakrileg darstellen würde.
Gleiches hätte man wohl auch kritisiert, hätten die Entwickler die Grafik zu sehr modernisiert. Die sieht zwar nach heutigen Maßstäben mehr als nur altbacken aus, Kenner der Originale werden aber dennoch einige sinnvolle Verbesserungen feststellen. So baut Shenmue II auf der XBOX – Version aus, die neben besseren Wasseranimationen auch über diverse Goodies wie Farbfilter und einen Fotomodus verfügt. Über all das darf man sich auch in der Neuauflage freuen, die zudem auf die lästigen, viel zu starken Unschärfeeffekte bei den Kampfsequenzen verzichtet und diese somit viel homogener und angenehmer für das Auge präsentiert. Auch das lästige Dithering und teilweise starke Kantenflimmern der Originalversionen gehört neben den langen Ladezeiten der Originale nun dankbarweise der Vergangenheit an.
Die Konsolenversionen sind dabei ganz gleich welche Plattform man nutzt bei einer festen Bildrate von 30 Frames gelocked. Was für die Konsoleros aber Gang und Gebe ist, könnte sich für PC – Spieler, die zumeist großen Wert auf höhere Bildraten legen, als Enttäuschung entpuppen, denn auch dort bleibt es bei 30 Bildern pro Sekunde. Das liegt ausnahmsweise aber nicht an chronischer Faulheit seitens der Entwickler, sondern ist tatsächlich der eigens für das jeweiligen Spiel programmierten Engine zuzuschreiben, deren Möglichkeiten einfach nicht mehr hergeben können und auch nie hergeben sollten. Hätte man die Bildrate hier forciert angehoben, würde man wohl die gleichen Probleme erleben wie bei der PC – Version von Grand Theft Auto: San Andreas, wo man dann unter anderem die Fahrzeuge nicht mehr richtig steuern konnte. Dafür bietet die PC – Version neben 4K – Support nochmals besseres Anti Aliasing sowie skalierbares Super Sampling, welches aber kaum für einen Qualitätsschub sorgt. Dafür leidet aber besonders die PC – Version momentan noch an einigen störenden Bugs, ist also weniger eingeschränkt zu empfehlen als die in Full HD laufenden Konsolenfassungen. Wer sich übrigens gewundert hat, warum unser Bildmaterial immer mal wieder in seiner Aspect Ratio wechselt: Das liegt an den ausschließlich im Format 4:3 verfügbaren Zwischensequenzen, die sich auch dem sonst verfügbaren Ingame – Format von 16:9 nicht beugen lassen. Auch hier ist die Engine schnell als Schuldiger ausgemacht, denn die jeweiligen Sequenzen wurden damals mit fest definierten Kameraperspektiven für Röhrenfernseher gerendet. Abseits dieser Beschränkungen existiert somit einfach kein Bildmaterial, welches man darstellen könnte. Würde man die Perspektive trotzdem auf Breitbildformate forcieren, käme es wohl wieder zu drastischen Darstellungsproblemen. Dann lieber alles so lassen, wie man es kennen und lieben gelernt hat.
Alles andere als gut ist allerdings die Bedienung ausgefallen. Hier hätte man wirklich für etwas mehr Komfort sorgen können. Mit Maus- und Tastatur quasi unspielbar, ist ein Gamepad absolute Pflicht. Und selbst dann ärgert man sich über die klobige Bedienung, die so gar nichts von der versprochenen Modernisierung zeigen will. So hat man bereits einige Mühen, zu Spielbeginn überhaupt aus dem Haus zu kommen, ohne an zig Ecken hängen zu bleiben. Die unpräzise Bedienung ist auch beim Untersuchen von Gegenständen nicht gerade vorteilhaft. Über vieles kann ich angesichts der besonderen Umstände der Neuauflagen hinwegsehen, nicht jedoch über die Bedienung, die ganz ohne schwere Eingriffe in das klassische Gefühl hätte verbessert werden können.
Fazit und Wertung
“Die heute völlig überaltete Grafik galt seinerzeit tatsächlich als technische Revolution und hat sicher einen nicht geringen Teil des für damalige Verhältnisse rekordverdächtigen Produktionsbudgets von knapp 50 Millionen Dollar verschlungen. Da sich der grundlegende Stil auch bei den Neuauflagen nicht geändert hat, werden Grafikenthusiasten wahrscheinlich einen weiten Bogen um das Spiel machen – ein großer Fehler, denn das Gameplay ist auf seine einzigartige Weise bis heute über jeden Zweifel erhaben. Somit haben die Verantwortlichen die richtige Entscheidung getroffen, indem sie alles so gelassen haben, wie es war – und nur die groben Ecken abgeschliffen haben. Und genau so sollte man Shenmue I und II letztendlich auch erleben – oder es ganz einfach lassen. Wenn der dritte Teil dann wirklich pünktlich Ende 2019 aufschlagen sollte, schließt sich der Kreis hoffentlich so würdevoll, wie es die Reihe verdient. Wünschen würde ich es mir.”
Mikrotransaktionen/Pay-2-Win: Shenmue I&II ist ein reiner Einzelspielertitel und verfügt weder über Pay-2-Win – Elemente, noch über fragwürdige Lootbox – Mechaniken. Eine Abwertung nehmen wir diesbezüglich also nicht vor.
PRO:
+ Erzählerisch damals wie heute eine der besten Spielerfahrungen überhaupt
+ Noch immer einzigartiges Spielgefühl
+ Technisch an den richtigen Ecken aufbereitet
+ Enormer Umfang
+ Fantastischer Soundtrack
CONTRA:
– PC – Version mit Bugs
– Viele Elemente nach heutigen Maßstäben extrem veraltet
– Schlechte Tonqualität
– Klobige Steuerung
– Mit Maus und Tastatur quasi unspielbar
GESAMTWERTUNG: 85%
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