Aus Longshot wird QB1 Im letzten Jahr wollten die Macher mit der Fortsetzung zu Longshot einen ähnlich stark erzählten Storymodus ins Spiel bringen wie ihn FIFA über drei Jahre mit der Journey erfolgreich geboten hat. Die dünne Story und viele hanebüchene Wendungen erinnerten aber eher an eine überlage Episode einer miesen Daily Soap. Wer mit Devin Wade und Colt Cruise nie wirklich warm geworden ist, kann sich in diesem Jahr freuen, denn das Duo wurde endlich in den Ruhestand geschickt und die öde Story gleich mit. Mit Face of the Franchise: QB1 ist dafür ein komplett neuer Karrieremodus am Start, der wie so viele andere Spiele auch erstmal im hauseigenen Editor beginnt. Hier könnt ihr aus überraschend vielen Assets und Optionen den Quarterback eurer Träume basteln, der anschließend einem der zehn voll lizensierten Collegeteams beitreten kann, die euch Madden 20 zur freien Auswahl anbietet.
Obwohl das Grundprinzip generisch klingt und sich auf den ersten Blick nicht anders spielt als zuletzt die klassischen Karrieren bei FIFA, NBA 2K oder gar einem WWE 2K, startet der überarbeitete Modus erzählerisch stark und liefert einen gelungen realistischen Einblick in das Leben eines Collegeschülers, der außerdem mit interessanten Nebenfiguren aufwartet. Was stark beginnt, lässt aber leider schnell wieder stark nach. Ist es mit dem College erstmal vorbei, verschwinden all die erzählerischen Stärken von QB1 hinter einem inhaltlich fast leeren, unmotivierten Klon des hauseigenen Franchise Modus, der höchstens noch in Form von regelmäßig eintrudelnden Textnachrichten Bezug auf Charaktere und Erlebnisse aus der Schulzeit nimmt. Entscheidungen treffen á la Journey? Vergesst es. Lediglich ein abwechslungsarm daherkommender Szenariengenerator gaukelt uns vor, dass QB1 mit dem Beginn der NFL – Karriere noch sowas wie eine Geschichte erzählt. Da bietet fast sämtliche Konkurrenz deutlich mehr.
Schwaches Franchise
Leider hat man sich auch in diesem Jahr nicht dem zuletzt so herbe stagnierenden tatsächlichen Franchise Modus angenommen, sondern bietet in Madden 20 im Vergleich zum Vorgänger beinahe identische Kost. Veteranen wissen, worum es geht: Als Manager, Spieler oder Trainer gilt es, die Mannschaft eurer Wahl möglichst erfolgreich von Saison zu Saison zu führen. Als Spieler arbeiten wir konsequent daran, uns von Spiel zu Spiel so gut es geht zu verbessern und in den Rängen immer weiter aufzusteigen. Teamchefs kümmern sich vor allem um personelle Fragen und sorgen für einen möglichst starken Kader. Diese Aufgabe übernehmen theoretisch auch Trainer, nur ohne gleichzeitig auch die finanziellen Aspekte des Teams verwalten zu müssen. Gemessen am Umfang bietet das Franchise auch in diesem Jahr neben dem Ultimate Team die größte Langzeitkomponente von Madden NFL 20. Es mangelt nur weiterhin an zentralen Neuerungen. Immerhin, als Manager können wir uns nun bei Vertragsverlängerungen nicht mehr um höhere Gehälter bei stetig guter Spielerleistung herummogeln. Die Spieler wissen nun sehr wohl um ihren Wert und machen bei Verhandlungen deutlich mehr Druck als noch im Vorgänger, was den Realismus angenehm hebt. Betroffen sind von dieser Neuerung aber natürlich ausschließlich Teamchefs.
Die zweite Neuerung ist eher für Trainer interessant, denn da der Szenariengenerator auch hier greift, muss man die Zufriedenheit der Spieler jetzt noch genauer im Auge behalten. Wer seinen Kader falsch einsetzt oder seine Fertigkeiten bei eingesetzten Spielzügen nicht miteinbezieht, muss sich jetzt auf Moral- und Leistungseinbußen gefasst machen. Die fallen zwar eher klein aus, sind aber natürlich trotzdem ärgerlich für alle, die Wert auf ein Team im bestmöglichen Leistungszustand sind. Andererseits: Geht ihr auf die Wünsche des Kaders ein, gibt es natürlich auch Boni. Auch hier halten sich die Auswirkungen in Grenzen, aber ein bisschen mehr Dynamik bekommt der sonst zum Vorjahr nahezu inhaltsgleiche Modus dafür immerhin. Das ist aber letztendlich viel zu wenig und hat höchstens Updatequalität. Für ein Spiel, dass jährlich zum Vollpreis erscheint und dass den Franchise Modus als zentrale Komponente bewirbt, ist das mehr als ärgerlich. Hier muss sich dringend mal etwas tun, denn angesichts der gleichermaßen lustlos inszenierten Karriere, die ja schnell in identische Muster verfällt, kann man eigentlich fast beim Vorgänger verweilen – zumindest gemessen an den Hauptfeatures.
Der X-Factor
Dafür hat sich wenigstens beim Gameplay einiges getan. Hier lässt sich dann auch endlich mal eine richtig gute Neuerung finden, denn im Mittelpunkt von Madden NFL 20 steht in diesem Jahr der sogenannte X-Factor. Die 50 besten Spieler der NFL, darunter Tom Brady, Ben Roethlisberger und New Orleans Saints – Superstar Alvin Kamara verfügen damit über je eine besondere Spezialfertigkeit, die richtig genutzt massiven Impact auf das Spielgeschehen ausüben kann. Insgesamt zwanzig dieser Spezialfertigkeiten gibt es, von Anfang an zur Verfügung stehen sie aber nicht. Stattdessen muss man erst die nötigen Voraussetzungen im Spiel erfüllen, zum Beispiel zehn erfolgreich ausgeführte Würfe. Danach aktiviert sich der passende X-Factor automatisch und kann solange genutzt werden, bis man genügend Fehler gemacht hat oder ganz einfach von einem gegnerischen Spieler trotz Einsatz aller Kräfte oft genug ausgekontert worden ist. Will man dann zum X-Factor zurück, muss man sämtliche Voraussetzungen erneut erfüllen.
Neben den deutlich dynamischeren Plays wirkt sich diese Neuerung besonders positiv auf die Alleinstellungsmerkmale der prominenten Spieler aus. Damit hat sich EA einem der größten Kritikpunkte seitens der Community angenommen und hebt besonders talentierte Player auch eindeutig als solche hervor. Zwar muss hier und da noch ein bisschen am Balancing geschraubt werden, einfach weil manche der Moves etwas zu übermächtig daherkommen, alles in allem erweist sich das System aber schon jetzt als sehr funktioniell und vor allem für die kommenden Jahre als vielversprechende Erweiterung bisher bekannter Mechaniken. Für viele fast noch wichtiger ist, dass man nebenbei auch endlich an der Defense geschraubt hat. Wo im Vorgänger vor allem K.I. – Schwächen und vorhersehbare Spielzüge vor allem im Pre-Snap für Probleme gesorgt haben, mischt jetzt ebenfalls der X-Factor mit. Denn nicht nur die Offensive, sondern auch die Defensive profitiert von den neuen Fertigkeiten. Wenn beispielsweise Defense Tackle Aaron Donald mit aktiviertem X-Factor darauf wartet, den Quarterback zu stoppen, muss man das nun als viel deutlichere Bedrohung wahrnehmen als bisher. Gleichzeitig ist es aber auch wieder spannend, die verschiedenen Special Abilitys im Kampf miteinander zu beobachten. In meinen Augen mit die besten und wichtigsten Neuerungen im diesjährigen Ableger, die definitiv ordentlich Pfeffer ins Spielgeschehen bringen – vor allem, weil sich alles irgendwie kontern lässt. Taktiker werden sich freuen.
Dabei bleibt es aber nicht, denn auch die Eingaben gehen schneller und flüssiger von der Hand, die Spieler bewegen sich präziser, wodurch etwas Hektik aus dem Gameplay genommen wird. So oder so: Madden NFL 20 bleibt ein anspruchsvoller Simulator, der aber auch Einsteigern einiges bieten kann. Dank gewohnt umfangreicher Tutorials und der Möglichkeit, sich zwischen zahlreichen Schwierigkeitsgraden zu entscheiden, kommen Profis genauso auf ihre Kosten wie alle, die zum ersten Mal Hand an ein Madden NFL legen. Mit dem hohen Fokus auf Gameplayverbesserungen wird einem in diesem Jahr zumindest spielerisch die bisher beste Version der langlebigen Reihe geboten. Flüssiger, taktischer und abwechslungsreicher war´s auf dem virtuellen Rasen noch nie. Schade nur, dass man diese Sorgfalt außerhalb davon einfach kaum spürt. Dafür mangelt es an allen anderen Ecken einfach an Innovation und dem Mut zu Neuerungen. Und das haftet dem Spiel negativ genug an, dass man die guten Aspekte darüber nur zu leicht vergisst.
Die Gier ist geblieben
Nicht unbeachtet bleiben sollte natürlich auch die für viele so bedeutsame Ultimate Team – Komponente. In diesem Jahr ist zumindest der Einstieg in den altbekannten Modus etwas einfach geraten. Statt Solo Challenges gibt es nun die sogenannten Ultimate Challenges mit wechselndem Schwierigkeitsgrad zwischen einem und drei Sternen, wobei ihr etappenweise bei entsprechendem Sternekontingent automatisch hochwertige Belohnungen erhaltet, darunter Währung, erlesene Spielerkarten und mehr. Die gibt es aber natürlich nur gegen eine ordentliche Ladung verdienter Sterne, weshalb Grinding immer noch ein Problem ist, wenngleich auch minimal entspannter als bisher der Fall. Die Herausforderungen lassen sich dafür relativ zügig bewältigen und sind sogar ganz unterhaltsam gestaltet. Bei der Zusammenstellung des bestmöglichen Teams, was weiterhin via klassischem Kartensystem funktioniert, greift aber ebenfalls der X-Factor. Damit es nicht zu übermächtigen Kombinationen kommt, dürft ihr allerdings maximal drei Special Abilitys im Team nutzen. Davon abgesehen bleibt hier eigentlich alles beim Alten.
Und das schließt natürlich auch wieder die verlockenden Mikrotransaktionen mit ein, die einem neuerdings schon im Hauptmenü des Spiels via eingeblendeter Panele aufgezwungen werden. Trotz vieler Optimierungen und neuer Möglichkeiten, sein Währungskonto aufzustocken, ist das Verhältnis zwischen Preis und Profit immer noch weit abseits vertretbarer Normen angesiedelt. Die besten Spieler bleiben den teuersten Packs vorbehalten, die entweder unverschämt viel Ingamewährung bei gleichzeitig unverhältnismäßig geringer Ausschüttung kosten oder über Abkürzung auch gegen Echtgeld erworben werden können. Knapp zehn Euro kann/muss man für ein Elite Pack löhnen und selbst dann besteht gerade mal eine Chance von 3.14%, dort eine Spielerkarte mit hohen Stats zu ziehen. Die Pay-2-Win – Komponente ist also nachwievor deutlich vorhanden, weshalb wir auch in diesem Jahr gezwungen sind, abzuwerten. Weniger aber immerhin als im Vorjahr, denn die ausschließlich gegen Echtgeld erwerblichen Premiumboxen wurden zum Glück ersatzlos gestrichen. Solange die Katze aber das Mausern nicht bleiben lässt oder zumindest deutlich mehr Währung ausschüttet, wird sich das auch nicht ändern.
Auf dem Rasen
Grafisch bleibt fast alles so, wie man es auch schon aus dem Vorgänger kennt. Angetrieben von der hauseigenen Frostbite Engine überzeugen vor allem die gut eingefangenen Spielergesichter einmal mehr, wobei sich nicht abstreiten lässt, dass man wie schon bei FIFA spürbar mehr Sorgfalt in die Darstellungen prominenter Spieler gesteckt hat. Visuelle Totalabstürze leistet man sich dabei aber zum Glück nicht, ein grundlegender Wiedererkennungswert ist stets mehr als vorhanden. Nur bei den Frisuren hapert es weiterhin. Was aber auffällt ist, dass man die Beleuchtung im Vergleich zum Vorjahr nochmals überarbeitet hat, was der Atmosphäre noch einen kleinen Extraboost verleiht. Selbst die Animationen hat man unter dem vielsagenden Namen “Real Player Motion 2.0” weiter verbessert, zu kleinen Aussetzern bei der Kollisionsabfrage kommt es gelegentlich aber immer noch, ganz so große Ausbrüche wie in Madden NFL 19 muss man aber nicht mehr befürchten.
Vorbildlich dafür: Die Optimierung. Es bleibt bei sauberen 60 Frames pro Sekunde über sämtliche Plattformen, wobei XBOX One S und PlayStation 4 PRO auf festgelegte 1080p am Output setzen, also nicht auf die immer üblichere dynamische Auflösungsskalierung setzen. PlayStation 4 Pro und XBOX One X bieten gleiche Leistung bei nativer 4K-Auflösung, geboten wird dadurch ein knackscharfes, kristallklares Bild, welches unter HDR nochmal richtig Punch verliehen bekommt. Support dafür bieten aber auch die Standardmodelle. Natürlich bietet auch die PC – Version hohe Auflösungen und mal abgesehen davon, dass der Rasen dort auf maximalen Settings minimal dichter wirkt, bekommt man dort im direkten Vergleich mit den Hochleistungskonsolen ein identisches Erlebnis geboten. Was aber auf hohen Auflösungen erst recht auffällt ist die weiterhin mittelprächtige Grafikqualität des Publikums, die einfach nicht mehr zeitgemäß wirkt und gemessen an den Spielern auf dem Rasen noch weiter absackt. Wenn man jetzt im Rahmen der genutzten Engine noch Verbesserungen präsentieren will, sollte genau dort schleunigst ansetzen. Schön sind die virtuellen Zuschauer nämlich längst nicht mehr.
Für den weiterhin ausschließlich englischen Kommentar sorgen auch in diesem Jahr wieder Brandon Gaudin und Charles Davis, die zumindest im Collegefootballbereich ein paar neue Sätze aufgenommen haben. Der Rest ist nahezu identisch aus dem Vorgänger übernommen worden, was man leider auch oft merkt. Theoretisch macht das Duo nämlich einen ganz brauchbaren Job, aber stetige Wiederholungen und gelegentlich auch völlig unpassende Sätze trüben den Spaß dann neben der vollen Ladung Recycling nur noch mehr. Auch das ist eine Baustelle, an der gearbeitet werden muss. Richtig zum Vergessen ist zu guter letzt der Soundtrack, der bei weitem nicht die Klasse und Vielseitigkeit eines FIFA besitzt und oft sogar derartig nervt, dass man nach einer Weile im Hauptmenü schon sämtliche dazugehörigen Lautstärkeregler in den Optionen auf Null drehen will – und es letztendlich natürlich auch tut.
Fazit und Wertung
“Neues Jahr, neues Glück. Mit der magischen 20 hinter dem Titel werden dank der wirklich gelungenen X-Factor – Komponente und vielen kleinen Gameplayverbesserungen vor allem die Spiele selbst auf ein neues, qualitatives Niveau gehoben und selbst optisch wirkt Madden NFL 20 nochmal ein kleines Stück runder, wobei aber Baustellen wie Publikum und Frisuren weiter brach liegen. Trotzdem, auf dem Rasen ist die Reihe besser denn je. Die dicken Minuspunkte liegen dafür wieder mal abseits davon. Die Karriere startet stark und rutscht nach spannender Einleitung in Franchise Light ab, während der Franchise Modus selbst bis auf kleine (aber immerhin sinnvolle) Erweiterungen identisch zum Vorjahr bleibt. Etwas fairer, aber längst nicht fair genug geht es im Ultimate Team zu, denn trotz mehr Verdienstmöglichkeiten und abwechslungsreicher Challenges bleibt ein zäher Grind, dem man nur durch überteuerte Echtgeldkäufen mit trotzdem geringer Chance auf hochwertige Spieler überwinden kann. Madden NFL 20 ist trotz guter Neuerungen mehr Update als Upgrade. Und als solches ein sehr teures.”
Pay-2-Win/Mikrotransaktionen: Madden NFL 20 setzt im Ultimate Team auch in diesen Jahr auf den stetigen Lockruf der Echtgeldabkürzungen. Zahlungskräftige Spieler können sich viel Grind ersparen und erlangen dadurch natürlich spielerische Vorteile. Aufgrund der deutlichen Pay-2-Win – Komponente werten wir daher um 5 Punkte ab.
PRO:
+ Realitätsnahe Inszenierung der meisten Spieler
+ Verbesserte Beleuchtung
+ Nachwievor tolles Mittendringefühl
+ Sinnvoll überarbeitetes Real Player Motion-System
+ Voll lizensierte NFL – Kader plus zehn Collegeteams
+ X-Factor sorgt für mehr Abwechslung, Spieltiefe und Wiedererkennungswert
+ Dank vieler kleinerer Verbesserungen flüssigeres und nachvollziehbareres Gameplay
+ Merklich besseres Defensivverhalten
+ Unterhaltsam kurzweilige Challenges im Ultimate Team
+ Spieler verhandeln im Franchise Modus jetzt härter…
+ …während Trainer dank Szenariengenerator mehr auf Zufriedenheit achten müssen
+ Klasse Stadionatmosphäre
+ Umfangreiche Tutorials und fünf fair ausbalancierte Schwierigkeitsgrade…
+ …die das Spiel für Einsteiger wie Profis gleichermaßen zugänglich gestalten
CONTRA:
– Nach starkem Einstieg völlig lust- und einfallslos inszenierte QB1-Karriere
– Franchise Modus stagniert auch in diesem Jahr weiter munter vor sich hin
– Kleinere Animationsfehler bleiben
– Technisch veraltetes Publikum
– Kommentare fast komplett aus dem Vorjahr wiederverwertet…
– …die außerdem nicht jede Situation adäquat begleiten
– Trotz Erleichterungen weiterhin starker Pay-2-Win – Einschlag
– Unpassender, nerviger Soundtrack
– Teilweise nicht angemessene Spielerwerte
GESAMTWERTUNG: 7.7/10
(um -5 Punkte abgewertet von 8.2)
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