Melody of Memory ist theoretisch die direkte Fortsetzung der Ereignisse von Kingdom Hearts III : Re Mind. Auf der Suche nach dem verschwundenen Sora lässt sich Kairi von Ansem dem Weisen in einen magischen Schlaf versetzen und durchlebt Schlüsselereignisse sämtlicher Teile erneut. Was uns Serienschöpfer Tetsuya Nomora hier storytechnisch vorsetzt, gibt aber erst zum Ende hin einige Hinweise auf die Zukunft der Reihe. Bis dahin hat man es viel eher mit einem Recap zu tun, der zwar gemessen an seinen siebenundvierzig Welten auf den ersten Blick extrem umfangreich geraten ist, insgesamt aber kaum mehr vollbringt, als einem das oberflächliche Geschehen näher zu bringen. Leider bleibt Kairi selbst damit einmal mehr eine Randfigur. Für Einsteiger dennoch eine gute Möglichkeit zu einem spielerischen Einführungskurs in die komplete Handlung von Kingdom Hearts und damit eine gute Alternative zu stundenlangen YouTube-Videos, bei denen man nur zusehen darf, nicht aber interagieren.
Wer bisher noch keinen Kontakt mit Kingdom Hearts hatte, aber schon immer mal einen Blick auf die Abenteuer von Sora und Co. werfen wollte, ist meiner Meinung nach besser damit bedient, sich direkt mit den Spielen auseinanderzusetzen. Die Handlung aus insgesamt zehn Spielen angemessen unter einen Hut zu bringen gelingt Melody of Memory nicht, als Appetithäppchen wird gleichzeitig viel zu viel verraten. Und selbst wenn es euch nur um die wundervolle Musik geht, sollte man Vorwissen mitbringen. Nicht, dass es einem abverlangt wird. Die intuitiven Mechaniken sind schnell erlernt und motivieren alleine dank der Unmengen freischaltbarer Sammelobjekte und der anhaltenden Jagd nach immer höheren Punktgewinnen. Aber ohne echte emotionale Bindung und einem Verständnis der geschichtlichen Bezüge wird das knapp zwei Jahrzehnte andauernde Schaffen einer fantastischen Künstlerin einfach auf unangemessene Weise entwertet.
Rhythmus im Blut
Unter einem Adventure kann sich ebenso jeder etwas vorstellen wie unter einem Rennspiel. Das Genre der Rhythmusspiele dagegen wird so manches Fragezeichen über den Köpfen der Leser projizieren. Wenn ich euch jetzt verrate, dass Guitar Hero zum selben Genre gehört, weiß man eigentlich schon ziemlich genau, was einen in Melody of Memory erwartet, nämlich ein klassisches Geschicklichkeitsspiel mit dem Ziel, alle Aktionen möglichst präzise getimed im Takt der Musik auszuführen. Dafür bewegt ihr euch im Dreierteam auf
imaginären Schienen durch die dazugehörigen Welten, haut Herzlose, Kisten, Fässer und vieles mehr um, sammelt im Schwebeflug Noten ein oder nehmt es sogar gelegentlich mit besonders fordernden Bossen aus dem Spielekosmos auf. Je präziser ihr im Takt eines Songs die Tasten drückt, desto mehr Punkte wandern auf euer Konto. Mit jedem Level gibt es zusätzlich drei Herausforderungen, zum Beispiel das Erreichen bestimmter Punktzahlen. Besondere Meilensteine öffnen den Zugang in das nächste Areal, welches ihr dann bequem von der Weltkarte aus mit dem Gummischiff anfliegen könnt.Im regulären Spielmodus könnt ihr vor Beginn einer Runde bequem zwischen drei verschiedenen Schwierigkeitsgraden wählen, die Tempo und Anzahl der Gegner wahlweise steigern oder senken. Wer selbst im Anfängermodus anfangs arge Probleme hat, es zu einem brauchbaren Abschluss zu bringen, sollte nicht verzagen. Es dauert ein paar Runden, ehe man ein Gefühl für das korrekte Timing entwickelt hat. Dann will man Melody of Memory aber gar nicht aus der Hand legen. Als jemand, der mit dem Genre nie viel am Hut gehabt hat und als blutiger Amateur ins Gameplay eingestiegen ist, ging es mir zumindest so. Anfangs dachte ich: „Verdammt, das bekomme ich doch nie hin!“ Zehn Minuten später waren nicht nur die ersten Herausforderungen erfolgreich absolviert, es reichte sogar zur Note A+ und einem besonderen Bonus dafür, keinen Gegner und kein Objekt verfehlt zu haben. Ein tolles Erfolgsgefühl, dass beinahe vergleichbar mit einem eben nach zig erfolglosen Versuchen erlegten Boss bei Dark Souls zu vergleichen ist. Mutige Spieler können sich anschließend im separaten Performance-Modus noch schwierigeren Herausforderungen stellen.
Gegnerische Treffer werden als Fehler gewertet, die euch Stück für Stück eurer Lebensenergie berauben. Zu viele Patzer und die Runde endet vorzeitig. Jede absolvierte Partie, ganz gleich über welchen Modus, belohnt euch mit Erfahrungspunkten. Steigt eure Gruppe im Level auf, erhöhen sich eure Werte und damit auch eure Chancen. Grinden muss man aber nie. Die Stufe entscheidet nicht maßgeblich über Erfolg oder Niederlage, sondern erfüllt höchstens den Zweck eines kleinen Puffers. Interessanter sind da schon die Items, die es gratis dazu gibt. Die lassen sich nämlich wie man es aus der eigentlichen Reihe kennt zu brauchbaren Hilfen umschmieden, die ihr anschließend vor Spielstart auf Wunsch zuschalten könnt. Neben regenerierenden Heiltränken kann man damit sogar kurzzeitig König Micky an seine Seite rufen, dessen Präsenz einem doppelte Erfahrungspunkte für jede erfolgreiche Aktion einbringt. In besonderen Welten helfen euch gelegentlich sogar die dazugehörigen Helden aus. Hat man genügend Materialien und die nötigen Blaupausen freigeschaltet, lassen sich auch komplette Lieder und Collectibles schmieden. Letztere könnt ihr zusammen mit allen anderen freigeschalteten Inhalten über ein eigenes Menü betrachten.
Egal in welchem Modus ihr spielt, ob ihr euch alleine durch fast zwanzig Jahre Kingdom Hearts arbeitet, in Einzelduellen gegen CPU oder echte Spieler aus aller Welt antretet oder gemeinsam mit einem Freund lokal Rekorde knackt, etwas Brauchbares gibt es immer zu verdienen. Der Sammelwahn motiviert zusätzlich und ist eine gute Ergänzung zum ohnehin schon suchterzeugenden Gameplay. Immer besser werden, möglichst makellose Streaks hinlegen und sich langsam vom Amateuer zum Profi hocharbeiten. All das übrigens ohne zusätzliche Echtgeldgängelei. Die Gelegenheit, zusätzlich zum mit knapp sechzig Euro teuren Hauptspiel noch einige zusätzliche Gewinne mit dem Verkauf von Songpaketen zu machen, wäre definitiv vorhanden gewesen. Dankbarerweise hat man aber darauf verzichtet. Melody of Memory ist eine runde Erfahrung, bei der man keinen Song und keine Welt vermissen, bzw. im Zweifelsfall zusätzlich dafür löhnen muss. Schade ist nur, dass ein lokales Gegeneinander nur exklusiv der Nintendo Switch vorbehalten ist. Außerdem ist nur einen Tag nach dem offiziellen Releasetermin online kaum etwas los und wenn doch, begegnet man oftmals ausschließlich hochrangigen Spielern, die einen in Grund und Boden zocken.
Toller Sound, altbackene Technik
Ein Spiel, in dem sich alles um die Musik dreht, profitiert natürlich extrem von einer ordentlichen Heimkinoausstattung. Dann tönen sämtliche Tracks und Tunes in kristallklarem 5.1 aus den Boxen und das Spielzimmer wird für einige Stunden zum Auditorium mit toller Immersion, kann aber dafür grafisch nicht überzeugen. Kingdom Hearts III wurde immerhin von der Unreal Engine angetrieben, wo Melody of Memory lediglich auf die Unity Engine zurückgreift. Das visuelle Niveau liegt dementsprechend deutlich darunter und orientiert sich allgemein mehr an jenem der Remaster zu den Teilen I und II. Zu viel erwarten sollte man sich also nicht, trotz kunterbunter Kulissen. Weil man sich aber sowieso die meiste Zeit eher über das Geschehen auf der Rail konzentrieren muss, bleibt für einen Blick zur Seite nur selten Zeit. Ja, hier wäre mehr machbar gewesen als nur Zweckmäßigkeit.
Gleichzeitig wurde das Spiel komplett und ausschließlich für die Last Generation konzipiert, weswegen Besitzer einer XBOX Series X|S oder demnächst auch der PlayStation 5 sich über keinerlei zusätzliche Optimierungen freuen dürfen. Dank problemloser Abwärtskompatibilität, in unserem Fall gemessen anhand der XBOX Series X, müssen Umsteiger aber keinen Gedanken darauf verschwenden, kützlich in Rente geschickte Konsolen wieder aus dem Schrank holen zu müssen. Mit Ausnahme der Switch wird auf allen verfügbaren Plattformen in nativem 1080p bei stabilen 60 Frames pro Sekunde aufgelöst, was angesichts eines auf Reaktion und Timing ausgelegten Spiels auch erforderlich ist. Die Nintendo Switch muss diesbezüglich eine Abstriche in Kauf nehmen. Dort sieht das Spiel besonders im Dock relativ matschig aus, auch die Videosequenzen im Hintergrund lösen niedriger auf und wirken auf großen Fernsehern eher unschön. Im Handheldmodus fällt die niedrigere Auflösung weniger stark ins Gesicht, dann kann es aber je nachdem, wie viel sich auf dem Bildschirm tummelt, zu Bildrateneinbrüchen kommen, die im Worst Case sogar negativen Einfluss auf die Eingaberegistrierung haben können.
Fraglich also, ob der Mehrwert im Mehrspielerbereich mit Support für bis zu acht Spieler diese Probleme ausgleichen kann. Gegenwärtig kann ich allen Besitzern mehrerer Konsolen nur dazu raten, lediglich bei absoluter Alternativenlosigkeit auf die Portierung der Switch zurückzugreifen. Generell spielt sich so ein Spiel bereits aus Gründen der Übersicht am besten auf einem entsprechend großen Display und auch die Musik genießt sich am ehesten im Heimkinoambiente. Und selbst dann schafft es die Nintendo Switch nicht, das gleiche flüssige Erlebnis ohne Qualitätseinbußen abzuliefern, welches PlayStation 4, XBOX One und Co. bieten. Bei der Bedienung gibt es dagegen wenig zu meckern. Via Gamepad geht das Geschehen optimal von der Hand, selbst über die Joy Con´s funktioniert die Bedienung ohne Probleme (wenn die Bildrate mitspielt). Eine Version für PC ist übrigens gegenwärtig nicht geplant.
Fazit und Wertung
„Um die Musik aus fast zwei Jahrzehnten Videospielgeschichte angemessen genießen zu können, bleibt normalerweise nur der Besuch eines Konzerts. Kindgom Hearts: Melody of Memory feiert das magische Schaffen von Yoko Shimomura nun auch im heimischen Wohnzimmer. Ob alleine oder nicht, die audiovisuelle Reise durch sämtliche Ableger der Reihe lässt kaum Wünsche offen und motiviert dank tonnenweise Sammelobjekten und einem mehr als fairen Belohnungssystem zu immer neuen High Scores und dem Bewältigen größerer Herausforderungen. So gut und spaßig das Gameplay aber letztendlich ist, so sehr sollten Einsteiger dennoch zunächst die regulären Teile abarbeiten, besonders weil einem inhaltlich hier sonst zu viele Hintergründe entgehen. Danach erwartet euch jedoch ein gelungener Rhythmustitel, der bis unter das Dach mit Features vollgepackt ist und einfach eine Menge Spaß macht!“
PRO:
+ Siebenundvierzig Welten aus achtzehn Jahren Kingdom Hearts…
+ …und mehr als das Dreifache an Songs
+ Deckt storytechnisch die wichtigsten Stationen der kompletten Reihe ab…
+ …und setzt die Handlung gleichzeitig (wenn auch eher häppchenweise) fort
+ Leicht erlernbares, extrem motivierendes Spielprinzip…
+ …welches perfekt auf die Kompositionen zugeschnitten ist
+ Gemütlich ansteigende Lernkurve…
+ …auch dank mehrerer, gut ausbalancierter Schwierigkeitsgrade
+ Tonnenweise Sammelobjekte…
+ …und faires Belohnungssystem
+ Hohe Vielfalt an Modi…
+ …die sich wahlweise alleine, kompetiv oder im Team absolvieren lassen
+ Intuitive Bedienung
CONTRA:
– Visuell veraltet
– Auf der Nintendo Switch technisch abgespeckt…
– …und mit Performanceproblemen
– Trotz Recap nur bedingt für Einsteiger geeignet
– Kairi´s Geschichte nur sehr nebensächlich
– Online schon jetzt kaum etwas los
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