Faszination Fahren
Mittlerweile gibt es kaum noch ein Rennspiel, dass komplett ohne Storyelemente auskommt. Weil die sich nicht selten auf dem Niveau einer allabendlichen Soap bewegen, ist es gar nicht mal schlecht, dass der Urvater aller modernen Rennsimulationen auch im siebten Akt weiterhin konsequent auf eine Rahmenhandlung verzichtet und stattdessen einmal mehr die Autos als Hauptdarsteller in den Mittelpunkt rückt. Eure Fahrerkarriere treibt ihr ganz klassisch über immer neue Events voran, verdient Credits und zieht euch so mit der Zeit den ultimativen Fuhrpark hoch. Als unverzichtbare Navigationshilfe und gleichzeitig auch als Hub fungiert eine übersichtlich gestaltete Karte, auf der mit der Zeit immer neue Orte zugänglich werden.
Wie im Museum
Vor knapp zehn Jahren erschien Gran Turismo 6 in den letzten Zyklen der PlayStation 3 und wartete mit sagenhaften 1197 Fahrzeugen auf – eine bis heute unerreichte Zahl. Doch die Begeisterung wich schnell Ernüchterung als sich herausstellte, dass Polyphony Digital dafür einfach das Arsenal der Vorgänger wiederverwertete. Ein Großteil der Wagen kam daher weniger detailliert und zudem komplett ohne Innenräume daher. Diesen Fehler will man jetzt nicht wiederholen. Mit 424 verschiedenen Boliden liegt man damit deutlich hinter dem Vorgänger zurück und gelangt auch nicht ganz an die Vielfalt eines Forza Horizon 5 heran, in Sachen Detaildarstellung überholt man den bereits hervorragend aufgestellten Konkurrenten aber dafür nochmal um ein gutes Stück. Dank eines gewohnt starken Lizenzpakets findet man im Pool fast jeden namhaften Hersteller. Vom einfachen Kombi bis zu modernen Concept Cars ist da wirklich alles dabei, was das Rennfahrerherz begehrt.
Jedes einzelne Fahrzeug wurde bis in die letzte Nuance nachgebildet, selbst die Motorensounds wurden originalgetreu von den realen Vorbildern aufgenommen, welche für eine möglichst wirklichkeitsgetreue Nachbildung der Fahrweise auch überwiegend von den Entwicklern über die Teststrecke gehetzt worden sind. Das Ergebnis setzt in Sachen Realismus einmal mehr neue Maßstäbe: Jedes Auto klingt unterschiedlich und fühlt sich im Handling auch unterschiedlich an. Wer ganz nahe heranzoomt, erkennt am Scheinwerfer sogar den Namen der Zulieferfirma. Rennspiele waren immer schon Zugpferde, wenn es darum ging, die Leistung einer neuen Konsolengeneration zu präsentieren. Und mit Gran Turismo 7 ist man nun zumindest auf der PlayStation 5 nur noch einen kleinen Schritt davon entfernt, dass man das Videospiel kaum mehr von der Realität zu unterscheiden vermag. Wahnsinn!
Euren Fuhrpark regelmäßig zu erweitern ist essentiell für den Fortschritt im Rahmen der Karriere, schließlich setzen unterschiedliche Events nicht selten auch unterschiedliche Fahrzeugtypen voraus. Mit der Zeit reicht es aber nicht aus, einfach nur einen passenden Wagen unter dem Hinter zu haben. Da kommt dann das Tuning ins Spiel! Dank tonnenweise verschiedenem Zubehör und einer sowohl für Gelegenheitsschrauber als auch Vollprofis gleichermaßen gut gestalteten Übersicht könnt ihr aus einem unterlegenen Einstiegsmodell mit wenigen Handgriffen (und einer angemessen dicken Brieftasche) schnell einen Überflieger basteln, der sämtliche Konkurrenten mühelos hinter sich lässt. Praktisch ist das vor allem dann, wenn ein Event zwar einen bestimmten Fahrzeugtyp verlangt, das Konto aber höchstens ein Einstiegsmodell erlaubt. Im Vergleich zu den teils extrem hochpreisigen Spitzenmodellen ist Tuning eine kosteneffiziente Alternative, um trotzdem mit der Konkurrenz mithalten zu können.
Ein Kessel Buntes
Mit insgesamt 34 verschiedenen Kursen bei 97 Streckenvarianten bietet das Spiel ein gewohnt solides Portfolio, welches sich wie immer aus echten und fiktiven Kursen zusammensetzt. Mit dabei sind neben voll lizensierten Kursen wie dem Nürburgring, Laguna Seca und dem Fuji Speedway auch extra für das Franchise designte Klassiker wie Trail Mountain wieder mit an Bord. Ob Wüsten, Wälder oder Gebirge, für grundlegende Abwechslung ist auf jeden Fall gesorgt. Lediglich bei den Stadtrennen hängt Gran Turismo 7 etwas hinterher und bietet mit dem Tokyo Expressway gerade mal eine Möglichkeit, auch mal abseits vom Ländle ein Ründchen zu drehen. Besonders begeistert haben mich im Test die fantastische Beleuchtung und die gelungenen Wettereffekte – obwohl beides auf PlayStation 4 bzw. PlayStation 4 PRO nicht ohne Abstriche auskommt.
Blicken wir von dort aus hinüber zum Geschehen auf der Strecke, gibt es ebenfalls nur sehr wenig zu bemängeln. Trotz überwiegendem Simulationscharakter und damit dem bewussten (und wie ich finde nachvollziehbaren) Verzicht auf eine fast schon zum Standard avancierte Rückspulfunktion sorgt die gemütliche Lernkurve dafür, dass auch Einsteiger problemlos ins Spiel finden. Über die vielen Herausforderungen und Lizenzprüfungen lässt sich auch ein eher beschränktes Können stetig verbessern. Außerdem genügt bereits ein Bronzepokal, damit ein Event als erfolgreich abgeschlossen gewertet wird. Wer also nicht gerade allen Trophäen im Spiel nachjagen will, kommt auch als Durchschnittsfahrer gut zurecht. Zusätzlich gibt es viele anpassbare Fahrhhilfen, die man als Profi genauso gut jederzeit einfach komplett ausschalten kann.
Das große Ärgernis ist viel mehr die mittelmäßige K.I. der Gegner. Stur auf Ideallinie ausgerichtet geraten besonders Überholmanöver regelmäßig zum Ärgernis, was besonders auf der höchsten der insgesamt drei vorkonfigurierter Schwierigkeitsstufen für Probleme sorgen kann, weil die Kontrahenten hier noch mehr darauf beharren, ihre Position kompromisslos zu halten. Auch ein vollumfangreiches Schadensmodell darf man bedingt durch die strengen Lizensierungsbedingungen wieder nicht erwarten. Zwar lassen sich die Auswirkungen von Kollisionen in zwei Wirkungsstufen einstellen, optische Schäden sind abseits von Kratzern im Lack aber nicht auszumachen. Trotzdem kann es je nach Einstellung vorkommen, dass ein dicker Zustammenstoß die Leistungsfähigkeit eures Wagens massiv verringert. Mehr als dieser Kompromiss war leider nicht drin, im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten muss man das so akzeptieren – obwohl es keine Begeisterungsstürme hervorruft.
Übrigens: Auch der umfangreiche Mehrspielermodus schaltet sich erst nach einiger Zeit frei. Dann dürft ihr aber wahlweise gegen Freunde im Splitscreen oder via Internet antreten und dafür eure eigenen Events basteln, oder ihr nehmt es mit Fahrern aus aller Welt in regelmäßig wechselnden Veranstaltungen auf und verdient euch neben ein paar Extracredits auch einen Platz auf den Weltranglisten. Dank vollem Support für Crossplay ist das alles auch problemlos möglich, wenn ihr mit Plattformen verschiedener Generationen an den Start geht. In unserem Test hat das alles problemlos funktioniert, auch Verbindungsschwierigkeiten gab es nicht. Hier profitiert das Spiel sehr von den guten Erfahrungen, die das Team zuvor mit GT Sport gesammelt hat. Gute fünfzig bis siebzig Stunden dauert es alleine, die Karriere durchzuspielen – je nachdem, auf welche Pokale man aus ist -, der Mehrspielermodus garantiert, dass euch auch im Anschluss daran vorerst nicht die Beschäftigung ausgehen wird.
Technisch macht Gran Turismo 7 bis auf die bereits erwähnten Unzulänglichkeiten vor allem auf der PlayStation 5 einen tollen Eindruck. Zwei Modi stehen euch hier zur Verfügung, die sich aber nur in einer Sache wirklich unterscheiden, nämlich beim Raytracing. Natives 4K wird immer geboten, in den Rennen werden unabhängig vom gewählten Modus immer 60 Frames pro Sekunde angepeilt. Das funktioniert nur deswegen, weil Raytracing dort grundsätzlich nicht aktiviert wird, sondern ausschließlich in Replays, der Garage, Fahrzeuggalerie sowie einigen Elementen innerhalb der Übersichtskarte. Dann jedoch halbiert sich die Bildrate, was sich durchaus bemerkbar machen kann. Weil man in den meisten Fällen schon sehr genau hinschauen muss, um die Unterschiede zu bemerken und man in den Rennen selbst nichts davon hat, raten wir zum Leistungsmodus mit konstanter Bildrate. Denn selbst ohne Raytracing sieht Gran Turismo 7 dank seines Beleuchtungssystems extrem schick aus.
Davon profitiert wiederum die Vorgängergeneration. Auch PlayStation 4 und PlayStation 4 PRO peilen 60 Frames pro Sekunde an, hier bei nativen Auflösungen von 1080p bzw. 1800p. Alle drei Plattformen haben gemein, dass sie besonders in den ersten Kurven eines Rennen bei viel Verkehr zu Einbrüchen neigen, danach aber sehr solide performen. Die Last-Gen-Modelle verlieren höchstens mal zwei-drei Bilder, bleiben aber überwiegend wunderbar flüssig. Das funktioniert aber nicht ohne Einbußen beim Detail, über die ich weiter oben bereits berichtet habe. Zusätzlich fällt auf, dass die Darstellungsdistanz im Rückspiel auf der PlayStation 4 schneller abreißt. Alles Kleinigkeiten, über die man getrost hinwegsehen kann, denn den Detailgrad der Fahrzeuge haben die Entwickler nicht angetastet. Aufgrund der Art und Weise, wie die temporale Kantenglättung mit den jeweiligen Auflösungen skaliert, erreichen die Vorgängermodelle aber nicht die kristallklare Schärfe der PlayStation 5. Ebenfalls überall mit an Bord ist ein umfangreicher Fotomodus, mit dem ihr eure Lieblingsflitzer vor bildschönen Hintergründen optimal in Szene setzen, aber auch innerhalb der Wiederholungen tolle Schnappschüsse tätigen könnt.
Größter Knackpunkt sind die langen Ladezeiten: Gerade einmal drei-vier Sekunden dauert es auf der neuen Konsole, bis ihr vom Menü im Rennen seid, auf der Last Generation vergeht bis dahin im Schnitt mehr als eine halbe Minute. Besonders nervig, wenn man gezwungen ist, ein Rennen von vorne zu beginnen. Selbst bei der Menüführung werden die Nachteile spürbar, denn nicht selten schleichen sich zwischen den Übergängen einige Sekunden lang Schwarzbilder ein, ehe das nächste Menü erfolgreich aufgebaut worden ist. Das lässt sich auch durch den Einbau einer SSD nicht vermeiden. Dass man es insgesamt trotzdem geschafft hat, aus den alten Konsolen noch so viel herauszukitzeln, ist wirklich respektabel. Wenn man also mit den Einschnitten leben kann und gegenwärtig noch keine Gelegenheit hat, an eine PlayStation 5 zu kommen, kann man trotzdem relativ bedenkenlos zuschlagen. Aufgrund der fantastischen Einbindung des DualSense und dessen exzellent integrierterten haptischen Feedback muss man dann aber auf deren immersiven Mehrwert verzichten.
Fazit und Wertung
„Auch im siebten Anlauf bleibt Gran Turismo seinem Kredo als ´The Real Driving Simulator´ treu und verzichtet auf eine Story ebenso wie auf eine offene Welt mit viel Effekthascherei. Klassisch soll es sein, die Autos und dessen Geschichten in den Vordergrund rücken. Ein Vorhaben, welches einmal mehr weitestgehend gelungen ist. Denn die traumhaft in Szene gesetzten Karossen mal wieder ganz konventionell über das Streckenangebot zu peitschen und abseits davon das angenehm entschleunigende Drumherum zu genießen, das gab es in dieser Form lange nicht mehr! Die umfangreiche Karriere motiviert ebenso wie der Mehrspielermodus, Einsteiger und Profis kommen gleichermaßen voll auf ihre Kosten. Gran Turismo 7 ist eine Liebeserklärung an das Automobil und seine illustre Geschichte im Wandel der Zeit. Das so greifbar umzusetzen ist definitiv ein kleines Kunsstück, dem auch die wenigen verbliebenen Kritikpunkte nur sehr wenig anhaben können.“
PRO:
+ Unglaublich detailverliebte Fahrzeuge
+ Tolle Beleuchtung, auch ohne Raytracing
+ Ansehnliche Wettereffekte
+ Motivierende Karriere mit fairer Lernkurve
+ Zahlreiche optionale Herausforderungen
+ Exzellentes Fahrgefühl
+ Jedes Auto fühlt sich unterschiedlich an…
+ …und klingt auch so
+ Abwechslungsreicher Fuhrpark…
+ …mit vielen spannenden Hintergrundinfos zu den einzelnen Fahrzeugen
+ Guter Mix aus fiktiven und realen Strecken
+ Umfangreiche, aber dennoch zugängliche Tuningkomponente
+ Wuchtige Motorensounds
+ Musikalische Begleitung von Klassik bis Rock
+ Schön gestaltetes Hub
+ Tolle Einbindung des DualSense
+ Exzellenter Support für eine Vielzahl Lenkräder
+ Viele optionale Hilfen zuschaltbar
+ Umfangreicher Fotomodus
+ Solide Mehrspielerkomponente mit vollem Crossplay- und Splitscreen-Support
– Konstant aufploppende Objekte
– Unflexible K.I.
– Nicht immer optimal ausbalancierte Schwierigkeitsgrade
– Etwas unübersichtliche Submenüs
– Nur ein Stadtkurs
– Manche Fahrzeuge sind lächerlich teuer
– Schadensmodell für einen Rennsimulator unzureichend
– Lange Ladezeiten (PlayStation 4)
– Rein optionale, aber dennoch extrem hochpreisige Echtgeldkomponente
Ein Rezensionsmuster zum Spiel ist uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt worden.