Raus auf die Straße
Aber gerade darin liegt auch der große Spaß von Volta Football. Ob man nun in stark renovierungsbedürftigen Hinterhofgegenden bolzt oder auf einem imposanten Luxusplatz mitten auf einem Hochhausdach in Tokyo, die Matches spielen sich stets gleichermaßen unkompliziert und liefern doch ein altbekannt befriedigendes Siegesgefühl. Zwar muss man sich gerade zu Beginn erst an die pfeilschnellen Spielerbewegungen gewöhnen, hat man aber erst ein Gefühl für die gänzlich konträr zu den restlichen Spielmodi gestalteten Bewegungsmechaniken entwickelt, geht die Sache prima von der Hand. Der gesamte Modus fühlt sich spielerisch angenehm rund an und bietet dank unterschiedlicher Reglements, zu denen sogar klassische Hallenfußballregeln gehören, jede Menge Abwechslung zum regulären Spielgeschehen.
Der alte Traum
Natürlich wird auch dazu wieder eine Story präsentiert, die euch (ihr ahnt es sicher bereits) einmal mehr in die Rolle eines wahlweise männlichen oder weiblichen Rookies befördert, der nur ein Ziel hat, nämlich die Weltmeisterschaft im Volta Football zu gewinnen. Dabei müsst ihr euch nicht nur mit Differenzen im eigenen Team herumschlagen, sondern bekommt es auch mit einigen hartnäckigen Kontrahenten zu tun. Etwas mehr als sechs Stunden Spielzeit wird euch im Rahmen der Geschichte geboten, die Klasse einer Journey wird dieses Jahr aber nicht einmal ansatzweise erreicht. Dafür setzt der Modus zu sehr auf altbewährte Handlungselemente, die man in der Form alleine in diesem Jahr schon fast überall in gleicher oder zumindest sehr ähnlicher Weise vorgesetzt bekommen hat, von den letzten Jahren mal ganz zu schweigen.
Richtig schlimm geraten ist es in Sachen Dialoge. Die sind so forciert auf cool getrimmt worden, dass es in der Praxis oft nur unfreiwillig komisch wirkt und die Vermutung aufkommen lässt, hier könnten die gleichen Hipster am Werk gewesen sein, die damit vor Jahren schon Need for Speed der Lächerlichkeit preisgegeben haben. Krass fancy will man sich präsentieren, über das Ergebnis dürften aber selbst die brutalsten Swagger lachen. Sympathische oder gar zugängliche Charaktere sucht man dementsprechend leider vergeblich, egal wo man sucht. Immerhin: Dank eines umfangreichen Editors sowie eines vielseitigen Skilltrees werden einem immerhin wieder jede Menge Optionen zur Personalisierung von Optik und Fertigkeiten geboten. Doch das reicht nicht aus, denn am Ende ist die Volta – Karriere leider qualitativ nicht viel mehr geworden als ein mega umfangreiches Tutorial.
Wer auf all das verzichten kann, darf den Modus auch im Rahmen einer Onlinesaison gegen echte Kontrahenten aus aller Welt erleben. Der setzt allerdings eine aktive Internetverbindung voraus, ohne die auch in der Story nichts geht, weil in beiden Modi die Spielerkreationen aus dem Rest der Welt genutzt werden, um die Mannschaften zu füllen. Nur via Anstoß darf man offline auf die Straße, dann aber eben nur in Form schneller Spiele. Dass man für die Story, in der ohnehin komplett gegen die K.I. gespielt wird, keine einfachere Lösung präsentiert, stößt sauer auf und weckt eher die Vermutung, dass man Raubkopierern einfach den Zugang zu diesem Modus verwehren will. Das ist zwar nachvollziehbar, hindert aber auch ehrliche Käufer mit schlechtem Internet an einem frustfreien Erlebnis.
Achtung: Auf der Switch hat man das Problem nicht, dort wurde nämlich nicht nur der komplette Volta – Modus gestrichen, auch die im folgenden noch besprochenen Gameplayneuerungen gibt es nicht. FIFA 20 präsentiert sich auf der Nintendokonsole als reines Rosterupdate zum Vollpreis!
Keine Experimente
Abseits von Volta Football wagt FIFA 20 in diesem Jahr leider nur wenig neues. Pro Clubs spielen sich identisch zum Vorjahr und profitieren lediglich von einem stark erweiterten Editor, mit dem ihr euren virtuellen Abbild noch mehr Individualität verleihen könnt, außerdem gibt es dort nun Trainingsspiele. Im Karrieremodus könnt ihr den gleichen Editor nun dazu nutzen, euren Trainer ganz nach individuellen Vorlieben zu gestalten, übrigens erstmals auch in weiblicher Form, was aber keinerlei Auswirkungen auf das Spielgeschehen hat. FIFA 20 geht dort immerhin den gleichen Weg wie seine Sportgeschwister und legt jetzt mehr Wert darauf, dass die Moral eurer Spieler auf gutem Niveau bleibt. Dazu gibt es jetzt gesonderte Pressekonferenzen und Einzelgespräche mit neuen Dialogoptionen. Leider nutzt sich das Feature dank rasch eintretender Wiederholungen extrem schnell ab. Und lässt man das einmal außen vor, war´s das auch schon mit den Verbesserungen, weswegen FIFA 20 in dem Bereich leider genauso stagniert wie Madden NFL und NHL.
Und dann gibt es natürlich auch noch das von gleichermaßen vielen gehasste wie geliebte Ultimate Team. Dort ziehen nun erstmals Saisonereignisse ein, die euch in Form zahlreicher unterschiedlicher und stets wechselnder Form immer neue Herausforderungen bieten, deren erfolgreiches Absolvieren euch mit der so nötigen Ingamewährung belohnt, die ihr anschließend in Kartenpacks oder direkt auf dem Transfermarkt verschleudern könnt. Tatsächlich haben die Macher mit den Saisons viele neue Möglichkeiten eingebracht, sich den virtuellen Geldbeutel füllen zu können. Dennoch: Wer es wirklich zu konkurrenzfähigen Decks bringen will, kommt um lange Grinds auch in diesem Jahr nicht herum. Umso verlockender erscheinen da einmal mehr die Mikrotransaktionen, mit denen ihr die nötige Währung via Echtgeld erwerben könnt. Da ihr mit euren Decks weiterhin auch gegen echte Spieler antreten könnt, entsteht zusätzlich zahlenden Kartensammlern natürlich neben deutlich schnellerem Progress ein waschechter spielerischer Vorteil.
Trotz Erweiterungen bei den Verdienstmöglichkeiten und einer Menge neuer Icons werden Pay-2-Shortcut ebenso wie Pay-2-Win weiterhin forciert und bleiben das zentrale, alles überschattende Ärgernis des Ultimate Team – Modus. Dafür ziehen wir 10 Punkte von der Gesamtwertung ab.
(Fast) die ganze Welt unter einem Dach
Trotz gewohnt überragendem Lizenzpaket muss die Reihe in diesem Jahr einen herben Rückschlag hinnehmen, denn der ewige Konkurrent Pro Evolution Soccer hat sich die Exklusivrechte an der Nutzung des Traditionsverein Juventus Turin gesichert, weshalb Ronaldo und Co. hier nun unter der fiktiven Fahne von Piemonte Calcio kicken. Und auch die Allianz Arena gibt es in FIFA 20 weiterhin nicht, weil auch die Bayern diesbezüglich einen Exklusivvertrag mit Konami laufen haben. Davon abgesehen bekommt man aber mit FIFA 20 wieder das volle Fußballpaket aus aller Welt geboten, mit über 700 verschiedenen Vereinen aus aller mehr und/oder weniger bedeutsamen Ligen und fast hundert voll lizensierten Stadien. Der massive Umfang bedeutet aber auch einmal mehr, dass man trotz passender Namen nicht jeden Spieler mit bestem Wiedererkennungswert versehen hat. Während Neymar und Co. ihren realen Vorbildern verblüffend ähnlich sehen, hat man bei nicht ganz so bekannten Spielern und Vereinen deutlich weniger Sorgfalt walten lassen und oft einfach auch hemmungslos recycled. Das trifft auch auf die wiederkehrenden Frauenmannschaften zu. Der Mischmasch aus Masse und Klasse sorgt dementsprechend auch in FIFA 20 für gemischte Gefühle.
Immerhin hat sich auf dem Platz ein bisschen was getan, wenn auch nicht grafisch, denn diesbezüglich ist FIFA 20 identisch zum Vorgänger geraten. Stattdessen hat man basierend auf dem Spielerfeedback zu FIFA 19 ein bisschen an den Feinmechaniken geschraubt. Das merkt man auch, denn in seinem stetigen Bemühen, dem weiterhin überlegenden Gameplay der Konkurrenz das Wasser abzugraben, drückt der diesjährige Ableger einmal mehr auf die Tempobremse. Dauersprinten ist nämlich nun keine Option mehr, dafür verbraucht sich die Ausdauer der Spieler viel zu schnell. Alleine dadurch ist man gezwungen, mehr taktischen Fokus auf kluges und vor allem häufigeres Passspiel zu legen und dabei die Defensive nicht zu vernachlässigen. Weil selbst die besten Defensivspieler der Welt nicht über unendliches Lungenvolumen verfügen, rächt es sich selbst mit einem Virgil van Dijk, seine Position aufgrund eines überhasteten Abfangmanövers zu verlassen. Insgesamt werden die Stürmer dadurch auch aufgewertet. Dafür gibt es weniger Automatisierung als beim Vorgänger. Kollegen bieten sich euch zwar weiterhin an, trotzdem muss man das große Ganze stets im Auge behalten und das ganze Team effektiv nutzen, um punkten zu können. Vom Gesamtrealismus eines Pro Evolution Soccer bleibt FIFA 20 trotz gelungener Verbesserungen aber weiterhin ein ordentliches Stück entfernt.
Es bleibt also letztendlich bei eher kleinen Justierungen, große Neuerungen lässt man weiterhin vermissen. Daran ändern auch die vielen neuen Animationen nichts, die das Spielgeschehen zwar nochmals flüssiger gestalten, sonst aber abseits zusätzlich neu hinzugefügter Pässe und Dribblings nichts wesentliches zum prinzipiell arcadelastigen Ablauf beitragen. Zumindest hat man sich die Zeit genommen, an dem oft kritisierten Abschusstimer zu schrauben, der auch dieses Jahr wieder ein den Optionen abgeschaltet werden kann, bei Freistößen und Elfmetern aber trotzdem alternativlos zum Einsatz gebracht wird. Jetzt wird erst mit dem linken Stick ein frei wählbarer Spot angepeilt, dann regulär abgezogen. Nur bei Elfmetern bleibt es unnötig kompliziert, da zusätzliche Eingaben nötig sind. In dem Bereich wird das Feature wohl weiterhin für viel Aufregung sorgen. Gleiches gilt für die K.I., die immer noch anfällig für Aussetzer ist, besonders die Keeper leisten sich noch Schnitzer. Dass die Macher das immer noch nicht richtig hinbekommen haben, nervt.
Wie im Fernsehen?
Einen Vorteil hat FIFA ja: Ihr braucht nicht zig verschiedene Abos, nicht zig verschiedene Sender und müsst auch nicht Stunden mit Programmplanung verbringen, um nichts zu verpassen. Alles ist unter einem Dach vereint. Und damit das auch so aussieht wie im Fernsehen, setzt auch FIFA 20 wie gewohnt auf eine realitätsnahe Präsentation. Wie bereits erwähnt bleibt es technisch aber bei Altbekanntem. Zum Einsatz kommt einmal mehr die hauseigene Frostbite Engine mit all ihren Vor- und Nachteilen.
Geschmeidigen Animationen und einer klasse Stadionatmosphäre stehen aber wieder mal Physikprobleme und teilweise komplette Animationsaussetzer gegenüber, die für manch gruseligen Moment sorgen können. PC, PlayStation 4 PRO und XBOX One X bieten allesamt Optionen für natives 4K, während die Standardmodelle der PlayStation 4 und XBOX One in regulärem Full HD auflösen und dabei den gleichen Support für HDR anbieten wie alle anderen Plattformen, die Nintendo Switch einmal ausgenommen, die uns allerdings nicht zum Testen vorgelegen hat.
Kommentiert wird das Geschehen auf dem Rasen wieder von Frank Buschmann und Wolff-Christoph Fuss, die durchaus einen passablen Job abliefern, weiterhin aber spielbedingt zu Wiederholungen neigen. Dazu gibt es einen durch die Bank gut gewählten Soundtrack. Die Bedienung geht wie immer gut von der Hand und punktet mit Präzision und hoher Reaktionsgeschwindigkeit. Dank sechs verschiedener Schwierigkeitsgrade und optionalen Hilfsanzeigen kommen Einsteiger wie Profis voll auf ihre Kosten.
Fazit und Wertung
„Egal wie groß oder klein die jährlichen Neuerungen auch ausfallen, die kritikallergischen Loyalisten werden auch weiterhin jeden September die Kohle auf den Ladentisch schmeißen, um sich das aktuellste FIFA ins Wohnzimmer zu holen. Und solange sich das ebenso wenig ändert wie die Tatsache, dass EA mit Echtgeldtransaktionen mehr Kohle scheffelt als mit dem Spiel an sich, wird sich wohl kaum einer der Verantwortlichen Gedanken darüber machen, irgendwas an diesen Prinzipien zu ändern. Immerhin, mit Volta Football hat FIFA 20 eine tolle, umfangreiche Neuerung erfahren, die dafür bei der Story schwächelt und zudem fast durchgehend auf Onlinezwang setzt. Abseits davon ist fast alles beim Alten geblieben. Etwas mehr Taktik ist jetzt durch limitiertes Sprinten nötig, auch die Defensive hat gute Änderungen erfahren. Übliche K.I. – Aussetzer trüben das Geschehen aber wie auch technische Schwierigkeiten weiterhin. Dem Umfangmonster muss man auch mit FIFA 20 vorhalten, dass es noch weit vom überlegenen Gameplay des Konkurrenten unterlegen ist. Wenn man diesbezüglich weiterhin so zaghaft verweilt wie man aggressiv auf Pay-2-Win im Ultimate Team setzt, könnte man mit FIFA 30 vielleicht endlich mehr bekommen, als nur eine grundsolide, aber insgesamt doch zunehmend mechanisch stagnierende Fußballsimulation. Zumindest vielleicht.“
PRO:
+ Realitätsnahe Präsentation
+ Tolle Stadionatmosphäre
+ Trotz minimaler Abstriche unerreicht gewaltiges Lizenzpaket
+ Unterhaltsame, abwechslungsreiche Volta – Komponente
+ Umfangreicher Charaktereditor…
+ …der erstmals auch das Erstellen eigener Trainer in der Karriere ermöglicht
+ Karriere mit mehr Fokus auf Spielerzufriedenheit
+ Seasons sorgen für mehr Abwechslung und Verdienstmöglichkeiten im Ultimate Team
+ Weniger Sprint zwingt zu mehr Passspiel
+ Defensivspiel mit deutlich mehr Gewicht
+ Teils sinnvoll überarbeitete, weiterhin auch abschaltbare Abschlussmechanik
+ Sechs Schwierigkeitsgrade
+ Gut gewählter Soundtrack
+ Solider deutscher Kommentar
+ Stabile Onlinekomponenten
+ Zugängliche, präzise Bedienung
+ Etwas übersichtlichere Menüführung als in den Vorgängern
CONTRA:
– Schwache, teils lächerlich komisch inszenierte Volta – Story
– Volta abseits des Quickplays konsequent mit Onlinezwang
– Stark schwankende Darstellungsqualität bei den Spielern
– Pay-2-Shortcut und Pay-2-Win weiterhin dominant im Ultimate Team
– Weiterhin seltsam anmutende Animationsprobleme
– Gelegentlich auftretende K.I. – Aussetzer
– Pressekonferenzen und Gespräche in der Karriere werden schnell repetiv
– Kommentare wiederholen sich hin und wieder und passen nicht immer zum Geschehen
– Elfmeter bleiben fummelige Glückssache
– Im Vergleich zum Vorjahr nur wenige, gravierende Gameplayverbesserungen
GESAMTWERTUNG: 7.0/10
(um -10 Punkte abwertet von 8.0)