Gestatten? V.
Gleich vorneweg: Ein Spiel wie dieses lebt von seiner Geschichte und davon, diese selbst zu entdecken bzw. durch getroffene Entscheidungen individuell zu formen. Daher verzichten wir komplett darauf, große Einblicke in die Story zu geben und begnügen uns mit einem minimalistischen Abriss, welcher maximal die ersten beiden Kapitel umfasst. Im Jahr 2077 ist die Menschheit dank moderner Kybernetik längst über ihre natürlichen Fähigkeiten hinausgewachsen. Dank ausgeklügelter Augmentierungen und sogar kompletter Protesen ist Evolution nur noch eine Frage persönlicher Vorlieben – und natürlich dem nötigen Kleingeld. Natürlich wird all das auch für kriminelle Zwecke ausgenutzt und die Branche boomt. Als wahlweise weiblicher oder männlicher V stehen uns nach der Charaktererstellung im extrem umfangreichen Editor, welcher uns wahlweise sogar Genitaliengröße und Schamhaarfrisuren nach persönlichen Präferenzen konfigurieren lässt, zunächst drei einleitende Pfade offen.
Ganz egal, für welchen Weg wir uns dabei entscheiden, finden wir uns anschließend an der Seite des stadtbekannten Schlägers Jackie Welles in den Diensten der Netrunnerin T-Bug in der futuristischen Metropole Night City wieder. Nachdem die uns nach ersten kleineren Aufträgen an den Fixer Dexter DeShawn vermittelt, wittern wir euphorisch das große Geld. Dafür sollen wir „nur“ in die Firmenzentrale des Großkonzerns Arisaka eindringen und deren neueste Erfindung stibitzen: Den Relic, eine Cyberware, mit der man sein gesamtes Bewusstsein auf einem einzigen kleinen Chip speichern kann. Quasi die ultimative Lebensversicherung, so zumindest preist es das Unternehmen an. Leisten kann sich das aber nur die absolute Elite. Doch der Coup läuft so schief, wie man es sich nur ausmalen kann. Nach einer ganzen Reihe von Zwischenfällen landet der beschädigte Relic in unserem Schädel, wenig später folgt auch noch eine Kugel unseres verärgerten Auftraggebers.
Doch wider Erwarten bringt uns die Bleierbse nicht um, stattdessen finden wir uns zum Sterben zurückgelassen in den Badlands außerhalb der Stadt wieder. Nach einer abenteuerlichen Flucht begrüßt uns das Bewusstsein von Johnny Silverhand, einem bekannten Rockstar, der bereits vor über fünfzig Jahren unter geheimnisvollen Umständen ums Leben kam. Schnell wird klar, dass der Relic offenbar bereits „bewohnt“ war. Den Chip so einfach zu entfernen ist allerdings selbst für den Ripperdoc Viktor unmöglich. Erschwerend hinzu kommt, dass der neue Gast in unserem Hirn alles andere als ein grundguter Sympath ist und die durch die Kugel erlittenen Verletzungen ebenfalls dafür sorgen, dass unsere Lebenserwartung konsequent Richtung Null wandert. Es bleibt also nicht mehr viel Zeit, um ungeliebten Johnny Silverhand wieder loszuwerden. Andererseits, vielleicht kennt ausgerechnet er eine Möglichkeit, dem Tod doch noch von der Schippe zu springen. Ein ziemliches Dilemma…
Aufwachen, Samurai!
Cyberpunk 2077 basiert auf dem gleichnamigen Rollenspiel von Mike Pondsmith, welches widerum massiv von den Werken von Autor William Gibson inspiriert wurde. Aber auch zahlreiche andere Einflüsse, unter anderem von Blade Runner – übrigens einer meiner absoluten Lieblingsfilme – haben zur Schöpfung von Night City und seinen vielen illustren Charakteren beigetragen. Über fünfhundert Personen haben seit der erstmaligen Ankündigung 2013 daran gearbeitet, diesen dystopischen Zukunftstraum zur spielerischen Realität werden zu lassen. Das Ergebnis ist ein zumindest auf erzählerischer Ebene wegweisender Titel geworden, der seine Spieler in eine mit Sogwirkung versehene Geschichte hineinzieht, die man ganz gleich persönlich getroffener Entscheidungen so schnell wohl nicht wieder vergessen wird. Eindrucksvoll setzen sich die Macher mit den Konsequenzen zunehmener technischer Erweiterungen auseinander, dem damit einhergehenden Verlust der eigenen Identität und sogar dem Menschsein an sich.
Neben der knapp dreißig Stunden andauernden Hauptgeschichte, die auf durchgehend hohem Niveau erzählt wird und in Sachen Charaktertiefe und Entwicklung höchstens von einem Red Dead Redemption II knapp übertroffen werden kann, warten überall in Night City optionale Nebenmissionen darauf, erfolgreich absolviert zu werden. So können wir es beispielsweise in einem Fight Club mit immer skurilleren Kontrahenten im Faustkampf aufnehmen, um unser Guthaben an Eurodollars aufzustocken, oder mit einigen der düstersten Gestalten der Stadt bei deutlich waghalsigeren Unternehmungen weit abseits der Legalität kooperieren. Gerade hier offenbaren sich die bereits aus The Witcher III: Wild Hunt bekannten Qualitäten der polnischen Spieleschmiede, selbst Aktivitäten abseits der zentralen Storypfade mit so viel Umfang und Substanz zu versehen, dass auf den ersten Blick nur kleinere Aufträge in eine mehrere Stunden umfassende Questreihen resultieren können, die der eigentlichen Geschichte in Sachen erzählerischer Qualität in nichts nachstehen. Umso mehr lohnt es sich, jeden Winkel von Night City genau zu erkunden und vor dem großen Finale nichts unerledigt zu lassen. Und selbst dann bietet Cyberpunk 2077 dank insgesamt fünf möglicher Endszenarien ausreichend Wiederspielwert, um gleich nochmal von vorne beginnen zu wollen.
Kein Charakter wirkt unbedeutend, jeder hat eine eigene Geschichte zu erzählen und wird von individuellen Motiven angetrieben. Das beginnt bei V als Protagonist des Spiels und zieht sich bis in die hintersten Winkel irgendeines Bandenanführers in den Badlands. Heimlicher Star von Cyberpunk 2077 ist aber natürlich der undurchschaubare Johnny Silverhand, meisterhaft verkörpert und vertont von Hollywoodstar Keanu Reeves, der übrigens in der deutschen Version genauso fantastisch von seinem Stammsprecher Benjamin Völz gesprochen wird. Der gefallene Rockstar ist die Reinkarnation des klassischen Antihelden. Rücksichtslos, egoistisch, aber irgendwie auch sympathisch genug, dass man sich als Spieler kaum festlegen kann, ob wir es dabei mit einem Freund zu tun haben, dessen Ratschläge uns in die richtige Richtung führen, oder mit einem Feind, der uns früher oder später für das Erreichen seiner eigenen Ziele hemmungslos über die Klinge springen lässt. Auf diesem schmalen Grad lässt uns CD Projekt RED permanent und ganz bewusst wandern, was die Story mit zu einem der grandiosesten narrativen Erlebnisse macht, die ich je im Rahmen eines Videospiels erleben durfte.
Die Hölle ist neonfarben
Night City. Ein Schmelztigel der Kulturen, eine Stadt voller Möglichkeiten. Und dabei so gefährlich, dass der Tod an jeder Ecke lauert. Zwischen gewaltigen Wolkenkratzern und Firmengebäuden tummeln sich Armut und Kriminalität inmitten zugemüllter Slums. Deckt die Krankenversicherung nur späte medizinische Hilfe ab, kann man schon bei einer Lungenentzündung sein Testament machen. Die Straßen sind bevölkert von futuristischen Automobilen, vom schlichten Kleinwagen bis zur Luxuskarosse ist alles vertreten. Unter den zahlreichen Passanten finden sich Kinder mit VR-Brille, futuristische Hipster, vor Erschöpfung schwankende Arbeiter, Junkies und Geschäftsleute in edlem Zwirn. Eigentlich kein Ort, an dem man leben will, der einen aber doch mit jeder Faser seines neonverseuchten Seins in seinen Bann zieht. Wo sich Cops auf offener Straße Schießereien mit Gangs liefern, die Menschen oftmals Abfall nach essbaren Resten durchforsten und in den abgelegenen Kellern mal mehr, mal weniger qualifizierte Körpermetzger ihrem Handwerk nachgehen. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals ein Spiel erlebt zu haben, dessen Welt so immersiv und lebendigt gewirkt hat wie die von Cyberpunk 2077.
Diese Qualität offenbart sich einem spätestens dann, wenn man trotz Option zur Schnellreise und der etwas unbefriedigenden weil unpräzisen Fortbewegung mit dem Automobil selbst größere Entfernungen trotzig zu Fuß zurücklegen will. Man will einfach nichts verpassen, überall gibt es etwas zu entdecken, auch weil kein Stadtteil dem anderen gleicht und man überall Gespräche aufschnappen kann, die von kleinen bis großen Alltagssorgen alles abdecken, was das Leben in Night City mit sich bringt. Diese Stadt atmet. Und als Spieler atmen wir mit ihr. Nur je nach Plattform eben unterschiedlich stark. Dazu aber später im (aller Voraussichtlich nach SEHR umfangreichen Technikteil) mehr. Diese Wirkung entfalten so nicht einmal Los Santos, Saint Denis oder Novigrad. Man kann sich in die Mitte der weitläufigen Metropole stellen und dann einfach beobachten, wie kunterbunt gemischtes Fußgänger Straßen überqueren, Snackverkäufer ihre Waren an den Mann bringen, oder geht einfach selbst in eines der zahlreichen Restaraunts, Geschäfte und Amüsieretablissements, um sich die Zeit abseits der Missionen zu vertreiben. So erfährt man unter anderem, wie Prostitution in der kybernetischen Zukunft funktioniert, was ich aus rein wissenschaftlichen Gründen natürlich umfangreich ausprobieren musste. Aber auch normale Romanzen lassen sich knüpfen. Und die bedeuten sogar was.
Gleichzeitig reagiert eure Umwelt auf euer Verhalten. Zückt ihr in der Öffentlichkeit eine Waffe, rennen die Leute sofort panisch weg, selbst wenn euer Street Credit, also der durch zahlreiche Aktivitäten steigerungsfähige Ruf von V auf hohem Niveau ist. Ich garantiere euch: Falls ihr Night City nicht auf Konsolen der letzten Generation betretet, werdet ihr die Zeit um euch herum völlig vergessen. Ja, es gibt tonnenweise Bugs, von denen manche wahrscheinlich noch einem Jahr nicht behoben worden sind, darunter Clippingprobleme, nicht immer ganz gelungene Bewegungsanimationen, frei in der Luft schwebende Objekte und und und…aber trotzdem bietet das, was man gegenwärtig geboten bekommt, schon so viel mehr als die meisten anderen Spiele, dass man darüber gerne hinwegsieht, weil sich hinter dem nächsten Bug oft schon wieder der nächste Augenöffner präsentiert. Das ist die Welt, die Verlockung und immer auch der Fluch von Cyberpunk 2077, wo man übrigens immer noch keine Antwort auf den Verschwörungstheoretikerabschaum unserer Zeit gefunden zu haben scheint.
Der Körper ist deine mächtigste Waffe
Abwechslung wird nicht nur visuell ganz groß geschrieben, sondern auch spielerisch stehen euch grundsätzlich drei verschiedene Herangehensweisen zur Verfügung. Via Waffengewalt direkt durch die Vordertür, heimlich und möglichst lautlos als Infiltrator ans Werk gehen oder als versierter Hacker die Umgebung zu eurem Vorteil nutzen. Natürlich lässt sich das alles auch problemlos miteinander kombinieren, was ohnehin eine gute Idee ist, weil jede Mechanik für sich genommen nie auf ganzer Linie überzeugen will. Das liegt primär am gegenwärtig noch unausgegorenen Balancing. Manche Fähigkeiten sind einfach viel mächtig, die Talentbäume zahlreich und unüberschaubar. Klar, jederbevorzuge Spielstil wird umfangreich gefördert und das sollte man auch wertschätzen. Was Cyberpunk 2077 aber neben unzähliger Cyberware und Augmentierungen zusätzlich an Perks und Skills offenbart, droht einen besonders in den ersten fünf-zehn Stunden komplett zu überschlagen. Zu einem Zeitpunkt also, an dem man noch gar nicht ausreichend festlegen kann, in welche Richtung man V überhaupt entwickeln will.
Deshalb ist es sehr wahrscheinlich, dass ihr früher oder später nochmal einen Reset vornehmt und die durch Levelaufstieg erworbenen Fertigkeitenpunkte erneut verteilt. Spätestens auf höheren Schwierigkeitsgraden ist die kluge Wahl eurer Werkzeuge samt entsprechender Vorgehensweise essentiell, während man bis einschließlich der normalen Schwierigkeit nícht ganz so abhängig von Talenten und Ausrüstung ist. Letzteres setzt sowieso ein gesundes Finanzpolster voraus, oder zumindest umfangreiche Kenntnisse im Upgraden. Auch Crafting ist in Cyberpunk 2077 ein wichtiges Element. Selbst billige Schießprügel können über interessante Perks verfügen, die man ohne weiteres nicht aufgeben möchte. Mithilfe gesammelter Teile oder durch stetiges Zerlegen nutzloser Knarren kann man selbst das Startarsenal fit für die letzten großen Herausforderungen des Spiels machen. Oder ihr schaut einfach im nächsten Waffenshop vorbei, wo sich das Sortiment regelmäßig an eure Charakterstufe anpasst. Dort wird immer auch ausreichend Zubehör wie Visiere und Schalldämpfer angeboten.
Ökonomisch haben die Entwickler alles richtig gemacht. Der Eurodollar als einzige Währung der Zukunft fühlt sich gewichtig an und wird stets fair, aber nie im Überfluss ausgegeben. Daher solltet ihr euch immer gut überlegen, worin ihr die hart verdienten Kredite investiert. Geld lässt sich aber vielerorts verdienen, sei es durch Missionen, Events oder sogar indem man die lokalen Einsatzkräfte beim Festsetzen gesuchter Verbrecher unterstützt. Via Scan werden euch nicht nur aufnehmbare Objekte in der nahen Umgebung angezeigt, sondern eben auch eventuell vorhandene Strafregister. Wem das alles zu legal ist, kann mit entsprechenden Talenten auch einfach Verkaufsautomaten hacken. Konsequenzen hat das nicht, generell wird in Night City niemand auf Diebstahl reagieren, was dann doch ein bisschen schade ist und zumindest als optional zuschaltbare Option eine gute, nachträgliche Idee wäre. Momentan haben die Entwickler allerdings an ganz anderer Front genug zu tun.
Technik zwischen Traum und Totalausfall – Ein Vorwort
Die neueste Version der hauseigens entwickelten Engine hört auf den klangvollen Namen REDengine 4 und beherrscht anders als die schon eindrucksvolle Vorgängerversion eine ganze Menge neuer Tricks, darunter auch Raytracing. Man konnte bereits mit der Ankündigung des Spiels erahnen, vor welchen technischen Herausforderungen die Entwickler bei einer angemessenen Umsetzung der Vorlage stehen würden. Besonders nach The Witcher III: Wild Hunt waren die Erwartungen seitens der Fans immens, was den Leistungsdruck nur noch mehr erhöht. Und dann sind da natürlich auch noch die neuen Konsolen sowie eine weltweite Pandemie. Dass inmitten der problemgeplagten, langjährigen Entwicklungszeit dann auch noch ein Red Dead Redemption II erschien und mal eben neue Maßstäbe für eine glaubhafte, lebendige Open World setzte, machte die ganze Sache sicher nicht einfacher. Immer wieder wurde Cyberpunk 2077 verschoben, immer wieder wurden Fans vertröstet. Und während viele potenzielle Käufer bereit waren, auch längere Wartezeiten in Kauf zu nehmen, reagierten andere mit Todesdrohungen gegenüber CD Projekt RED. Ich verstehe, wenn man sich über kurzfristige Verschiebungen ärgert, aber so ein Verhalten ist einfach nur widerlich.
Mit der Veröffentlichung ist nun endgültig klar, warum es hinter den Kulissen zu unzähligen Überstunden und Zerwürfnissen kam, warum das Spiel möglicherlicherweise noch mindestens ein halbes Jahr lang hätte verschoben werden müssen und warum die Macher primär Material vom PC gezeigt haben. Cyberpunk 2077 ist ein Spiel über die Zukunft, aber auch für die Zukunft. Dass gerade Besitzer eher leistungsschwacher Rechner oder Konsolen (primär den Basismodellen) der letzten Generation nie in den Genuss des gleichen visuellen Erlebnisses wie jene von Next Gen-Hardware kommen würde, musste von Anfang an klar gewesen sein. Dass die Unterschiede dann doch so gravierend ausfallen würde, teilweise sogar in völliger Unspielbarkeit münden, war dann doch eine Überraschung. Cyberpunk 2077 kann breathtaking aussehen, wenn man auf den PC als Plattform setzt und mindestens zweieinhalbtausend in die dafür nötigen Komponenten investiert. Es kann wunderschön sein, wenn man eine XBOX Series X oder PlayStation 5 besitzt und sich bis zum angekündigten Upgrade Anfang 2021 geduldet. Und es kann immer noch eine Menge Spaß machen, wenn man seine Ansprüche zurückschraubt, ein erweiteres Konsolenmodell sein Eigen nennt und einfach nur die Story erleben will. Trotz vieler, vieler, vieler Bugs und jeder Menge offener Baustellen.
Beginnen wir unsere Odyssee ganz unten, nämlich bei der XBOX One S und PlayStation 4. Maximal 900p und eine dramatisch (!) reduzierte Grafikqualität sind problematisch genug, dass die Bildrate trotzdem permanent über den Rand der Unspielbarkeit hinauswandert und sogar Übelkeit verursachen kann, sind der Hauptgrund dafür, dass wir gegenwärtig DRINGEND von einem Kauf abraten, wenn im heimischen Daddelzimmer nur eine dieser beiden Konsolen ohne jedwede Alternative vorhanden ist. Mittlerweile hat CD Projekt RED sich dafür offiziell bei den Fans entschuldigt und für Januar und Februar Besserung in Form umfangreicher Patches gelobt, gleichzeitig aber auch klargestellt, dass sich das visuelle Niveau nur geringfügig verbessern wird. Der darüber ausgebrochene Shitstorm ist gewaltig und für die bisher so beliebte polnische Firma ganz sicher ungewohnt. Allein die Konzernaktie ist über Nacht um satte achtzehn Dollar eingebrochen, Mircosoft bietet Käufern der digitalen Version eine problemlose Rückgabe an und selbst geöffnete physische Kopien sollen in den Läden umtauschbar sein, je nachdem an welchen Händler man gerät. Sogar eine eigene Mailadresse für rücknahmeunwillige Verkäufer, mit denen sich die Entwickler dann direkt beraten wollen, ist eingerichtet worden. Man ist also um Wiedergutmachung bemüht. Das sollte man unbedingt anerkennen.
Technik zwischen Traum und Totalausfall – Der Check
Dass man vorher trotzdem nicht kommuniziert hat, in was für einem schlechten Zustand die Last Gen-Version ist, bleibt allerdings ein großes Ärgernis, dass viele Spieler dem Unternehmen noch Jahre übelnehmen werden. Diese Fassung einfach komplett zu streichen wäre keine Alternative gewesen, denn die Next Generation oder gar die neusten Grafikkarten sind dank der gewaltigen Nachfrage sowie der schleppenden Produktion in Coronazeiten und nicht zuletzt auch dank der kriminellen Scalper absolute Mangelware, während PlayStation 4 und XBOX One weltweit in weit über einhundertfünfzig Millionen Haushalten vertreten sind und daher immer noch die zentrale Spieleplattform bilden, die man als solche ganz einfach bedienen muss. Wir können nur abwarten, inwieweit sich die versprochenen Updates auf Performance und Stabilität auswirken werden. Wenn God of War, Gears 5, The Last of Us II und Co. noch in der Lage sind, wunderschöne Abenteuer auf der über sieben Jahre alten Hardware zu liefern, besteht auch für Cyberpunk 2077 noch Hoffnung. Besser sieht es auf der XBOX One X und PlayStation 4 PRO aus. Letztere löst dynamisch zwischen 1188p und 972p auf, die One X schafft nur wenig mehr. Auch hier hält sich die grafische Qualität in Grenzen, dafür ist auf den Straßen bereits mehr los, Details wie Schriftzüge auf Schildern sind wieder lesbar und auch die angepeilten 30 Frames werden – trotz zahlreicher Einbrüche vor allem in Außenarealen – weitestgehend gut genug erreicht, um den Titel hier halbwegs spielbar zu machen.
Interessanter wird es dann erstmals auf XBOX Series X|S und PlayStation 5. Hier läuft das Spiel zwar aufgrund des erst im nächsten Jahr kostenlos nachgereichten Upgrade für die Next Gen vorerst über die Abwärtskompatibilität, einige gewichtige Verbesserungen bekommt man aber bereits jetzt geboten. Zusätzlich zu einer höheren dynamischen Auflösung, deutlich schnelleren Ladezeiten und massiv verbessertem Texturstreaming bei gleichzeitig höheren Detailsettings peilt Cyberpunk 2077 auf der PlayStation 5 konstante 60 Frames pro Sekunde an. Die erreicht das Spiel im Schnitt bei 85% aller Fälle, nur während der Autofahrt und in besonders effektreichen Situation kommt es zu Einbrüchen, die sich aber nie unterhalb der Fünfzigermarke bewegen. Insgesamt performt die neue Konsole von Sony etwas stabiler als die XBOX Series X im Performance Modus, muss dafür aber Abstriche bei der Bevölkerungs- und Verkehrsdichte hinnehmen. Der Series X steht zusätzlich exklusiv ein Grafikmodus zur Verfügung, der sich zwar auch weit entfernt von nativem 4K bewegt, dafür aber noch mal eine ordentliche Schippe bei Schärfe und Details drauflegt. Dafür wird die Bildrate allerdings halbiert. Wer damit leben kann, bekommt auf der Series X gegenwärtig das schönste Konsolenerlebnis geboten. Die Series S dagegen liefert einen sehr guten Kompromiss aus Qualität und Leistung, muss bei der Auflösung dafür weder ordentlich Federn lassen und fällt regelmäßig unter 1080p. Große Stabilitätsprobleme sind uns auf der Next Gen nicht aufgefallen, die Last Gen dagegen – besonders die PlayStation 4 – ist genauso absturzanfällig, wie es Meldungen überall im Netz implizieren.
Gleiches gilt für die PC-Version. Die ist zwar allen anderen Plattformen technisch um Welten voraus und profitiert besonders vom Raytracing der aktuellen Grafikkartenmodelle samt nativem 4K und und und…schmeißt einen aber ebenfalls gerne mal mitten im Spiel zurück auf den Desktop. Zwar sieht das Spiel hier auch ohne Raytracing klasse aus, aber erst durch die Echtzeitspiegelungen und die verbesserte Beleuchtung entsteht wahres Zukunftsfeeling. Das erfordert auf maximaler Qualitätsstufe aber mindestens eine RTX 3080, noch besser wäre die wesentlich teurere RTX 3090. Ihr ahnt also, in welche Preisklassen man hier insgesamt vorstoßen muss, um Cyberpunk 2077 so zu sehen, wie es die letzten Trailer gezeigt haben. Ohne Raytracing fallen die Systemanforderungen dagegen wesentlich moderator aus, bewegen sich aber immer noch im hohen Bereich. Ich kann und will an dieser Stelle keinen Garantieschein für eine bestimmte Hardwarekonfiguration vorgeben, dafür ist das Spiel momentan zu unvorhersehbar in seinem Verhalten. Wer jedoch über Konsolenniveau kommen will, wird das gegenwärtig nur im Hochpreissegment erreichen. Und selbst dann bleiben natürlich immer noch massig Bugs, die es entwicklerseitig zu fixen gilt. Ja, der PC bietet momentan die beste Erfahrung. Aber auch dort ist das Spiel weit von einem fertigen Zustand entfernt. Auf diese und jene Weise sitzen Spieler aller Plattformen momentan alle im gleichen Boot.
Der Klang der Nacht
Grafik, egal in welcher Qualität, macht alleine noch kein atmosphärisches Spiel. Dass Cyberpunk 2077 aber auch in dieser Kategorie so glänzen kann, ist dem immensen Aufwand zu verdanken, welchen die Entwickler in das Sounddesign gesteckt haben. Die deutsche Synchronfassung gehört mit zum Besten, was man die letzten Jahre in einem Videospiel hören durfte, dazu gesellen sich elf Radiosender mit insgesamt mehreren Stunden perfekt gewähltem Musikmaterial. Von den Motorsounds der Autos bis zum Geschnatter der Passanten stimmt hier einfach alles. Das ist uns definitiv einen Award wert! Und gegenwärtig wohl auch das einzige, was im Spiel problemlos funktioniert.
An der Bedienung gibt es ebenfalls nicht viel zu meckern. Egal ob via Maus und Tastatur oder Gamepad, das grundlegende Eingabeschema ist schnell erlernt und wird einem inkl. aller wichtigen Mechaniken in den ersten Stunden ganz automatisch über unaufdringlich implementierte Tutorials nähergebracht. Neben der wie bereits erwähnt etwas schwammigen Fahrzeugsteuerung stört mich eigentlich nur eines, nämlich dass sich das Spiel nie so recht zu entscheiden kann, mit welcher Taste man auf dem Gamepad bestätigen soll. Aber nach allem was viele andere Spieler bereits negatives in Night City erlebt haben, ist dieser Aspekt dann doch kaum mehr als ein Fliegenschiss from the Future.
Fazit und Wertung
„Ich weiß nicht, ob es zu blindes Vertrauen, zu hoch gesteckte Erwartungen oder eine Mischung aus beidem gewesen ist, welches gegenwärtig den Unmut so vieler Spieler weckt. Fakt ist jedoch, dass CD Projekt RED mit dem lange herbeigesehnten Cyberpunk 2077 eine spielerische Offenbarung gelungen ist, wie man sie in dieser Form bisher nirgendwo sonst geboten kriegt. Um eine der immersivsten und atmosphärischsten Settings der Videospielgeschichte samt exzellentem Storytelling so richtig erleben zu können, bedarf es momentan aber zwei Dinge: Entweder einem verdammt leistungsstarken PC, oder aber ausreichend Geduld, bis die Macher bei den zahlreichen Bugs nachgebessert und besonders die Konsolen mit dringend nötigen Updates bzw. Upgrades versehen haben. So oder so besteht kein Zweifel, dass Cyberpunk 2077 das Potenzial hat, eine ganze Generation von Videospielen entscheidend zu definieren. Wenn es denn je fertig wird. Aber ich bin guter Dinge, dass dieses Vorhaben gelingen wird. Ungeduld hat eben immer ihren Preis. Miyamoto-San hatte absolut Recht.“
PRO:
—Ausschließlich PC´s und Next Gen Hardware
+ Unfassbar schöne, einzigartig atmosphärische Welt
+ Lebendiges Night City mit hoher Sogwirkung…
+ …und Augenöffnern an jeder Straßenecke
+ Fantastischer Einsatz von Ray Tracing auf PC´s
+ Hohe Modell-, Animations- und Effektqualität
+ Detailverliebt vom Kopf bis zur Sohle
—Alle Plattformen
+ Filmreif erzählte Haupt- und Nebenmissionen
+ Alle Charaktere in ihren Handlungen nachvollziehbar…
+ …selbst Randfiguren warten mit viel Persönlichkeit und Tiefe auf
+ Johnny Silverhand ist einer der interessantesten Antihelden der Videospielgeschichte
+ Mindestens dreißig Stunden umfassende Hauptgeschichte…
+ …und tonnenweise optionaler Content
+ Zahlreiche Easter Eggs und Referenzen auf Sci-Fi und andere Genres
+ Unmengen Waffen, Ausrüstung und Cyberware
+ Umfangreiche Talentbäume, die jeden Spielstil unterstützen
+ Unaufdringlich in die Handlung eingebundene Tutorials
+ Vier Schwierigkeitsgrade für jeden Anspruch
+ Hoher Wiederspielwert dank mehrerer unterschiedlicher Enden…
+ …und verschiedener Lösungswege
+ Entscheidungen und Romanzen mit spürbaren Auswirkungen auf den Storyverlauf
+ Freies Speichern und Laden
+ Großzügig verteilte Schnellreisepunkte
+ Zahlreiche Komfortfunktionen (z.B. Autobringdienst, funktionsfähiger Kofferraum)
+ Referenzverdächtige Sprecherleistungen, sowohl auf Deutsch als auch in Englisch
+ Elf perfekt auf das Setting abgestimmte Radiosender
+ Exzellenter Score
+ Intuitive Bedienung über sämtliche Plattformen
CONTRA:
—Ausschließlich Last Gen-Hardware
– Stark schwankende Performance, besonders auf Basiskonsolen unspielbar
– Je nach Plattform dramatisch reduzierte Grafikqualität
– Extrem niedrige Auflösung sorgt für Bildmatsch am Fließband…
– …und eine dementsprechend detailarme Umgebung…
– …was in hohen Abstrichen in Sachen Atmosphäre resultiert
– Night City häufig menschenleer
—Alle Plattformen
– Bugs, Bugs und noch mehr Bugs
– Über sämtliche Plattformen mal mehr, mal weniger absturzanfällig
– Bewohner und Ordnungskräfte reagieren nicht auf Diebstahl
– Unbefriedigende Fahrzeugsteuerung
– Unausgegorenes Balancing zwischen den einzelnen Spielstilen
– Besonders anfänglich wird man von den zahlreichen Skills und Perks erschlagen
GESAMTWERTUNG: 8.5/10 (PC, PS5, XS)
4.0/10 (PS4, XB1)
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