Wenn ich mich daran erinnere, wie ich als Kind meine ersten Schritte als Gamer am PC meines Großvaters ging, überkommt mich immer wieder ein wohlig-warmes Gefühl. Besonders angetan hatten es mir dabei die Point-and-Click-Adventures von Lucas‘ Arts, die mich selbst dreißig Jahre später immer noch begleiten. Mit Casebook 1899 – The Leipzig Murders will der deutsche Entwickler Gregor Müller den Charme dieser Klassiker nun zu neuem Leben erwecken – und das auch noch zum kleinen Preis!


Entwicklung und Vertrieb: Homo Narrans Studio
Plattform: PC | Linux
Veröffentlichungsdatum: 04. September 2025
Preis: 17,49€
Altersfreigabe: Gegenwärtig nicht vorhanden, vermutlich ab 12 Jahren


Tod im Osten
Kurz vor Beginn des neuen Jahrhunderts ist die westliche Welt nahezu vollständig im Zeitalter der Industrialisierung angekommen. Es gibt vereinzelt großen Wohlstand, aber auch extreme Armut. Und kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendein scheußliches Verbrechen verübt wird. So auch in Leipzig, wo der beflissene Kommissar Kreiser sich allabendlich zu seiner betagten Vermieterin mitsamt ihres allzu neugierigen Hausmädchens begibt, um über seine letzten Fälle zu berichten. Vor diesem Hintergrund präsentiert uns das Spiel vier Kriminalfälle, in deren Mittelpunkt überwiegend Morde stehen.

Dabei bekommen wir es unter anderem mit einem Leichenfund in der Rauchkammer einer Dampflok zu tun und müssen herausfinden, ob ein in der Alster ertrunkener Mann wirklich nur die Kontrolle über sein brandneues Automobil verloren hat – oder ob da am Ende nicht jemand nachgeholfen hat. Stets zur Seite steht uns bei den Ermittlungen der Staatsanwalt Möbius, der uns praktischerweise auf Nachfrage wahlweise mit Tipps oder dem Anzeigen interessanter Hotspots versorgt, sonst jedoch leider etwas blass im Hintergrund agiert, obwohl die Interaktion der beiden ungleichen Staatsdiener viel Potenzial für den ein oder anderen humoristischen Schlagabtausch geboten hätte.

Ein Umstand, der sich im Allgemeinen wie ein unschöner roter Faden durch das gesamte Spiel zieht, denn bis auf wenige Ausnahmen verweilen die allermeisten Charaktere sehr an der Oberfläche und sind einem spätestens beim Szenenwechsel schon wieder aus dem Kopf verschwunden. Eine Tatsache, über die auch die detailverliebten und historisch mit einiger Akribie recherchierten, vollständig handgemachten Kulissen nicht hinwegtäuschen können. Oft lassen sich die wahrscheinlichen Täter viel zu leicht dadurch ausmachen, dass sie auf die Todesnachrichten schlicht zu gelassen reagieren, was zusätzlich dadurch untermalt wird, dass sich auch die dazugehörigen Sprecher nicht wirklich darum bemühen, überrascht zu klingen.

Mit einer spielerischen Herausforderung solltet ihr also nicht rechnen, besonders nicht dann, wenn ihr mit dem Genre gut vertraut seid: Experten dürften den Abspann bereits nach ein paar Stunden erreicht haben. Weil jeder Fall mehrere Deduktionsmöglichkeiten und daraus resultierend auch mehrere mögliche Enden offeriert, lohnt sich ein zweiter Durchgang aber allemal – dazu muss man übrigens nicht in Leipzig leben. Mehrere Jahre hat Gregor Müller an seinem ausschließlich durch Crowdfunding finanzierten Projekt gearbeitet und wenngleich das Ergebnis nicht auf ganzer Linie überzeugen kann, ist Casebook 1899 – The Leipzig Murders ein kleiner Rohdiamant innerhalb eines längst vergessenen Genres und macht definitiv Lust auf mehr.

Das liegt vor allem – man kann es gar nicht oft genug erwähnen – an dem tollen, hochatmosphärischen und unverbrauchten Setting. Das alte Leipzig mitsamt seiner illustren Bewohner präsentiert sich im klassischen Pixellook und verbeugt sich gestalterisch regelmäßig vor zeitlosen Klassikern wie Indiana Jones and the Fate of Atlantis oder Monkey Island. Sogar die kurzen Reisebildschirme zwischen den Szenen, die man per Knopfdruck auch überspringen kann, wirken durch durch Pixelpassanten und Pferdekutschen lebendig und mindestens so abwechslungsreich wie die zentralen Schauplätze selbst. Dazu gibt es einen unaufdringlichen und passenden Soundtrack, der das Geschehen zu jedem Zeitpunkt wunderbar stimmig untermalt.

Was einen gelegentlich ein bisschen aus der Atmosphäre reißt, ist die fehlende Vollvertonung. Die bezieht sich zwar lediglich auf die Gedanken des Kommissars, allerdings arbeitet das Spiel diesen Umstand nicht heraus, was sich beispielsweise durch eine Textdarstellung jener Segmente in Kursiv etwas besser hätte lösen lassen, da so etwas offensichtlicher geworden wäre, dass wir uns gerade in einem inneren Monolog befinden. Ebenso seltsam mutet die Schreibweise Commissar an, da sich das Wort in der uns bekannten Schreibweise mit dem Buchstaben K bereits im 15. Jahrhundert so etabliert hat, wie wir es heute verwenden. Aber Gregor Müller hat mich persönlich darauf hingewiesen, dass man das in den Archiven so hinterlegt hat. Deshalb ist wahrscheinlich beides korrekt.

Die Bedienung geht ganz typisch für das Genre wunderbar von der Hand, mehr als eine Maus benötigt ihr quasi nicht. Mit dem Mausrad lässt sich sowohl das Inventar, als auch das Notizbuch ohne Klick aufrufen, alles wurde übersichtlich und angenehm zugänglich gestaltet. Besser und unkomplizierter geht es quasi nicht.

„Freunde klassischer Point-and-Click-Adventures sollten genau hinsehen, denn mit Casebook 1899 hat Gregor Müller, der kreative Kopf hinter dem Projekt, eine wunderbar charmante Hommage an die Klassiker des Genres geschaffen. Das vor handgemachten und akribisch recherchierten Kulissen inszenierte Spiel punktet mit charmantem Retrolook, abwechslungsreichen Kriminalfällen samt dazugehörigen Schauplätzen sowie einer mehr als zugänglichen Bedienung. Ein bisschen mehr Tiefe hätten die Figuren vertragen können und so manche Lösung ist etwas zu offensichtlich, was dem kostengünstigen Titel aber nur wenig Wasser abgräbt. Dass sich Kenner in ein paar Stunden durch den kompletten Titel klicken können, ist noch am ehesten ärgerlich, denn alles in allem hat mir das Knobeln im alten Leipzig so viel Spaß gemacht, dass ich dort gerne noch länger verweilt hätte. Gerne mehr davon!“


- Detailverliebte Kulissen vor historisch authentischem Setting
- Charmanter Pixellook der Genreklassiker wird perfekt eingefangen
- Mehrere mögliche Enden erhöhen Wiederspielwert
- Unaufdringlich implementierte Rätsel
- Stimmiger Soundtrack
- Kinderleichte Bedienung
- Optionale Hilfen
- Fairer Preis

- Sehr kurz
- Charaktere agieren oft arg an der Oberfläche
- Fallentwicklungen stellenweise etwas zu offensichtlich
- Durchwachsene Sprecher
- Gedankenpassagen könnten klarer hervorgehoben werden
- Keine Vollvertonung

Entsprechende Rezensionsmuster sind uns freundlicherweise vorab von Homo Narrans Studio zur Verfügung gestellt worden.
*Unsere Links werden nicht mit einer Monetarisierung versehen
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