Unruhige Zeiten
Als dann auch noch die schwarze Pest ausbricht und binnen kurzer Zeit Unmengen von Leben fordert, taucht plötzlich die Inquisition auf dem heimischen Gut auf. Die religiösen Fanatiker sind davon überzeugt, dass sich in Hugo´s Krankheit der Schlüssel gegen die Krankheit verbirgt und richten auf der Suche nach dem Knirps ein Massaker unter den Bediensteten an. Auch die Eltern der beiden Geschwister fallen den Klingen der gnadenlosen Inquisitoren zum Opfern. Amicia und Hugo gelingt nur knapp die Flucht, werden aber weiterhin gejagt und sind nun gezwungen, umgeben von Krankheit und Not einen sicheren Hafen zu erreichen. Die stetigen Gefahren der leidgeplagten Welt zwingen nicht nur zum schnellen Erwachsenwerden, sondern verlangen auch immer öfter nach Greueltaten, die das Verhältnis zwischen den distanzierten Geschwistern nachhaltig beeinflussen werden…
Eine Geschichte, an die man sich erinnert
Eine der größten Stärken von A Plague Tale: Innocence ist eindeutig die starke Charakterzeichnung. Das Spiel nimmt sich Zeit für die Einführung seiner Figuren, allen voran natürlich Amicia und Hugo, bildet aber auch glaubhaft die Zeit ab, in der die Geschichte stattfindet. Die malerische Schönheit Frankreichs weicht schnell einem finsteren Albtraum, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint. Amicia, die zwar kein Kind von Schüchternheit ist, aber trotzdem nur die guten Seiten des Lebens kennengelernt hat und Hugo, der krankheitsbedingt in Isolation aufgewachsen ist und dementsprechend nichts von der Welt weiß, werden in genau diesen Albtraum hineingeworfen. Bereits der Anfang ist erzählerisch stark inszeniert und formt die Grundlagen für die spätere Entwicklung der Protagonisten, die nun gezwungen sind, ganz auf sich gestellt zu überleben. Als Spieler ist man dank der exzellenten Regie immer nahe an den Hauptfiguren und fühlt dadurch umso mehr mit ihnen mit.
Das zu Anfang sehr distanzierte Verhältnis zwischen den Geschwistern wandelt sich nachvollziehbar zu einer festen Bindung, die aber nicht frei von Konflikten ist. So muss Amicia immer wieder Entscheidungen treffen, die der kleine Hugo als grausam empfindet, was für die längst nicht erwachsene große Schwester sehr belastend ist. Die Verlorenheit der Protagonisten bleibt nachvollziehbar, die permanente Ungewissheit hinsichtlich der Zukunft stets präsent. Emotionale Momente gibt es viele, aber keiner davon wirkt aufgesetzt oder gar erzwungen. Stattdessen wird die Story damit ebenso konsequent vorangetrieben wie die Charakterentwicklung, selbst die zahlreichen Knobelpassagen fügen sich bestens in dieses Konzept ein. Und tatsächlich ist es den Entwicklern gelungen, diese Stärken weitestgehend über den gesamten Spielverlauf aufrecht zu erhalten. Nur das Ende enttäuscht mangels großer Überraschungen ein wenig. Und beim starken Fokus auf die Protagonisten bleiben auch die Nebencharaktere eher blass zurück.
Die Reise von Hugo und Amicia und deren inhaltlich mehr als gelungene Inszenierung gehört zu den wenigen, an die man sich auch nach einiger Zeit noch erinnern wird – auch dank der abseits kleiner Aussetzer guten deutschen Vertonung und dem hervorragenden Soundtrack aus der Feder von Komponist Olivier Deriviére. Wer es ganz authentisch mag, kann aber ebenso zum französischen Originalton switchen und dann auf Wunsch passende Untertitel zuschalten.
Sie kommen meistens bei Nacht…
Die knapp 12-15 Stunden lange Odyssee des Todes wird natürlich von zahlreichen Gefahren begleitet, denen sich die ungleichen Geschwister stellen müssen. Mit roher Gewalt ist gegen die fleischfressenden Rattenhorden aber nichts auszurichten, dafür hassen die Nager Licht. Genau diesen Umstand gilt es sich nutzbar zu machen. Anfangs genügen Fackeln und entzündbare Stöcke, um sichere Passagen durch die hungrige Meute zu schaffen, später muss man aber mehr und mehr um die Ecke denken und selbst für dauerhafte Lichtquellen sorgen. Die Lernkurve ist mehr als fair und führt den Spieler nach und nach an die sich stetig erweiternden Spielmechaniken heran. Immer größere Bedeutung wird dann Amicia´s Schleuder geschenkt, die vorerst nur einfache Steine verschießt (mit denen sich aber auch manches bewerkstelligen lässt), später aber mit Brandgeschossen und Co. immer neue Hilfen bietet, um sicher durch die Rattenhorden gelangen zu können. Und die gehen nicht gerade zimperlich ans Werk, denn bereits wenige Sekunden ohne rettendes Licht reichen aus, um Amicia vollständig zu zerlegen. Wer aber wirklich mal nicht weiter weiß, bekommt immer mal wieder dezente Hinweise und kann sich dank fairer Rücksetzpunkte auch die ein oder Trial and Error – Passage erlauben.
Ganz anders müssen die Geschwister gegen menschliche Gegner vorgehen, denn neben der Inquisition tummeln sich überall auch englische Soldaten, die auch vor Kindermord nicht zurückschrecken. Da selbst die Schleuder gegen diese Übermacht nur begrenzt hilfreich ist, sollten offene Konflikte tunlichst vermieden werden. Stattdessen setzt das Spiel in diesen Passagen eher auf klassisches Stealth – Mechaniken. Um sich an den Feinden vorbeischleichen zu können, verstecken sich Amicia und Hugo im hohen Gras, beobachten Patrouillenrouten und sorgen im passenden Moment mit Steinen und Tontöpfen für Ablenkung. Zwar lassen sich mit der Schleuder auch vereinzelt Gegner töten, der Leichenfund sorgt aber prompt für Alarm und ebenso dafür, dass für einen gewissen Zeitraum sämtliche Feinde vor Ort akribisch die Umgebung absuchen. Gelegentlich müssen sich die Geschwister auch mal trennen, denn einerseits ist Amicia alleine deutlich schneller unterwegs, andererseits kann Hugo auf Befehl durch kleinere Gänge kriechen und dann auf der anderen Seite den Weg für uns freimachen. Zu weit darf man sich von Hugo aber nicht entfernen, da dieser sonst Panik bekommt, was im schlimmsten Fall zu einem Game Over führt.
Die Kombination aus Rätseln und Schleichpassagen ist gut durchdacht und wird meistens abwechslungsreich präsentiert. Klasse ist hier wirklich, dass die dargebotenen Rätsel in irgendeiner Form meist immer gemeinsam gelöst werden müssen. Dabei wird die klassische Knobel- und Evadeformel zwar nicht neu definiert, zeigt sich abseits nur weniger repetiver Elemente aber zumindest nie langweilig. Da die endgültigen Lösungen aber wie bereits erwähnt streng linear sind und abseits der Schleichrouten kaum Alternativen bieten, fällt der Wiederspielwert entsprechend gering aus. Lediglich das ein oder andere Sammelobjekt versteckt sich manchmal etwas abseits vom Schlag und erfordert gewisse Umwege. Die aber lohnen sich alleine schon deswegen, weil selbst die Collectibles zur Geschichte beitragen und zudem nicht in Unmengen vorhanden sind, was den Sammelobjekten nochmals einen besonderen Eigenwert einräumt.
Mit der Zeit lassen sich außerdem überall Handwerksmaterialien erbeuten, mit denen Amicia an einer passenden Werkbank nützliche Upgrades für ihre Schleuder herstellen kann, ebenso aber auch für mehr Kapazitäten bei Munition und Co. sorgen kann. Das bringt durchaus einigen Nutzen, macht Amicia andererseits aber nie übermächtig, denn die Gefahren der Welt bleiben stets präsent und dementsprechend auch höchst tödlich.
A Plague Tale: Innocence spielt sich nicht nur gut, es sieht auch noch hervorragend aus. Als Grafikgerüst dient eine hauseigende Entwicklung der Asobo Studios, die durchaus Potenzial hat, auch zukünftig eine Rolle auf dem Markt zu spielen. Alleine die Animationen der Rattenhorden sind klasse, ebenso protzen aber auch die Charaktere mit vielen feinen Details, lediglich die Mimiken könnten etwas besser sein. Dem gegenüber steht eine sehr atmosphärische Welt, die von dichten Wäldern über Dörfer bis zu weitläufigen Feldern und nebligen Sümpfen alles zu bieten hat, was das Spielerherz begehrt. An Abwechslung mangelt es bei den Spielumgebungen ganz sicher nicht, dazu gesellen sich sehr hübsche Partikeleffekte, eine insgesamt gelungene Ausleuchtung und wirklich schöne Panoramen, die einen zumindest kurz vergessen lassen, dass man in einer Welt voller Tod und Pestilenz unterwegs ist. Wenn finstere Momente gleichermaßen schön wirken wie jene bei Licht, ist das für ein eher kleines Studio definitiv eine respektable Leistung.
Fazit und Wertung
„A Plague Tale: Innocence gehört für mich zu den ersten großen Spieleüberraschungen des Jahres. Die Macher kombinieren eine stark charakterbezogene Geschichte mit einem unverbrauchten, sehr atmosphärisch dargestellten Setting und vielen gelungenen, wenn auch mit der Zeit etwas repetiven Schleich- und Rätselmechaniken. Trotz gewisser Genreklischees ist das Ergebnis ein packendes, toll erzähltes Action-Adventure, welches man alleine schon wegen seiner wunderbaren Hauptfiguren gespielt haben sollte. Das stetige Gefühl von Elend, die toll in Szene gesetzten Rattenhorden und das sich konsequent entwickelnde Verhältnis zwischen Bruder und Schwester sind nur wenige der Dinge, die mir auch nachhaltig in Erinnerung bleiben werden.“
Pay-2-Win/Miktrotransaktionen: A Plague Tale: Innocence bietet keinerlei Möglichkeiten, sich via Echtgeld spielerische Vorteile verschaffen zu können. Eine Abwertung nehmen wir dementsprechend nicht vor.
PRO:
+ Atmosphärisch dichte, glaubhaft inszenierte Welt
+ Hübsche Partikeleffekte und Beleuchtung
+ Insgesamt hohe Animationsqualität
+ Toll gezeichnete Protagonisten mit nachvollziehbarer Charakterentwicklung
+ Story bietet viele emotionale und erinnerungswürdige Momente
+ Herrlich ekelig in Szene gesetzte Rattenhorden
+ Solide, durchdachte Mischung aus Schleich- und Rätselpassagen
+ Faire Lernkurve
+ Solide Spielzeit
+ Sinnvoll gestaltete Sammelobjekte und Upgrades
+ Hervorragender, jederzeit passender Soundtrack
+ Zugängliche Bedienung
+ Hervorragende Performance auf allen Plattformen
CONTRA:
– Mimikqualität könnte besser sein
– Blasse Nebencharaktere und Schurken
– Etwas enttäuschendes Ende
– Spielverlauf wird mit der Zeit zunehmend repetiver
– Menschliche Gegner lassen sich zu leicht austricksen
– Streng linear, daher kaum Wiederspielwert vorhanden
– Gelegentlich etwas emotionslose deutsche Vertonung
GESAMTWERTUNG: 8.5/10